Jones, Diana Wynne
Jahr warten, passt ihm das Kostüm nicht mehr.«
Mit seiner gewohnten Gelassenheit dachte Siriol nach. »Wenn der Graf wirklich in Erwägung zieht, dieses Jahr zu Hause zu bleiben, dann hören wir davon schon früh genug Gerüchte. Inzwischen kann es nicht schaden, wenn wir ein klein wenig die Furcht schüren. Wir verbreiten, dass es schreckliches Unglück für Holand bedeuten würde, wenn das Seefest abgesagt wird, und Ähnliches.«
Also ließen die Freien Holander hier und da ein Wort fallen. Die meisten begnügten sich, entsetzliches Pech anzudeuten. Mitt hatte jedoch das Gefühl, sich nicht auf den Zufall verlassen zu können. Sofern Hobin außer Hörweite war, führte Mitt eindringlich wispernd jedem, der in die Werkstatt kam, Überschwemmungen, Hungersnöte, Feuersbrünste und Seuchen vor Augen. »Und das ist noch längst nicht das Schlimmste, was geschehen wird, wenn der alte Hadd aus Angst das Seefest abbläst«, raunte er am Ende und zog eine abscheuliche Fratze, um alles erdenkliche Unheil anzudeuten. Wenn Milda einkaufen ging, malte sie ähnliche Schrecken aus, aber in weit grelleren Farben.
Vier Tage später, als die Waffenhüter ihren wöchentlichen Kontrollgang machten, kehrten die Gerüchte zu Mitt zurück. »Habt ihr gehört, was man sagt?«, fragte einer. »Es heißt, das Meer steigt, wenn Hadd das Seefest absagt, und ganz Holand wird von Ungeheuern überschwemmt. Man hört noch mehr von diesem abergläubischen Unsinn.«
»Ja«, sagte der andere. »Ungeheuer mit Pferdeköpfen und Stierhörnern. Ich meine, ich weiß natürlich, dass du darüber lachst, Hobin, aber du musst zugeben, dass jeder viel glücklicher wäre, wenn er genau wüsste, dass es dieses Jahr auch bestimmt ein Fest gibt.«
Als sie gegangen waren, lachte Hobin noch immer. »Ungeheuer!«, rief er. »Dass ich dich nicht erwische, wie du dir solchen Blödsinn anhörst, Mitt.«
»Keine Bange«, antwortete Mitt. Insgeheim staunte er, zu welchem Ungetüm sein Gerücht angewachsen war.
Am nächsten Tag gab Hadd bekannt, das Seefest würde wie üblich stattfinden. Der Graf war kein Feigling, aber er war auch nicht dumm. Harchads Spitzel berichteten ihm auf eindringliche Weise, wie verhasst er in ganz Holand war. Er wusste, dass eine Absage des Festes der Funke sein könnte, der einen echten Aufstand entbrennen ließ. Deshalb sagte er es nicht ab, aber er verbot all seinen Enkeln, an der Prozession teilzunehmen. Dieses Jahr sollte der Umzug aus Dienern und Kaufleuten und deren Söhnen bestehen – ausnahmslos unbedeutenden Menschen, die nichts zählten.
Diese Neuigkeit traf Ynen ins Mark. Seit Monaten freute er sich schon auf das Seefest. Er hatte darauf gezählt, Hadd mit seiner Rassel schlagen zu können, hatte davon geträumt, wie er das Ding unter seines Großvaters großem, spitzem Zinken kreisen ließ, dichter, noch dichter und – Zack! Nun aber… Es war Ynen kein Trost, dass er hinterher zum Festessen kommen durfte. Als er aber erfuhr, dass sein Vater bei der Prozession mitgehen würde, war es ihm endgültig zu viel. Harl blieb im sicheren Palast zurück, und Harchad begnügte sich damit, die Soldaten und Spitzel zu überwachen, die er zu Hadds Schutz aufgestellt hatte. Jemand aus Hadds Familie aber musste Libby Bier tragen, und Hadd suchte Navis dazu aus, denn Navis war sein entbehrlichster Sohn. Außerdem mochte der Graf Navis nicht besonders.
»Das ist so ungerecht!«, sagte Ynen enttäuscht zu Hildy. »Warum darf Vater in der Prozession mitgehen und ich nicht?«
»Jetzt weißt du, wie ich mich fühle«, erwiderte ihm Hildy ohne jedes Mitgefühl, denn Mädchen waren in der Prozession noch nie geduldet worden.
Nachdem die Freien Holander über mehrere Kanäle von alldem erfahren hatten, zeigte sich Siriol erstaunlich zufrieden. »Umso geringer ist die Gefahr, dass unser Mitt erkannt wird«, sagte er.
Andere Sicherheitsmaßnahmen erschienen den Freiheitskämpfern erheblich beunruhigender. In der Woche vor dem Fest wurden alle Boote auf die andere Seite des Hafens verlegt. Siriol musste die Blume von Holand an einen weit entfernten Liegeplatz bringen, wo sie von sechs anderen Booten gestoßen und gescheuert wurde, die dicht um sie herum gepackt waren. Siriol murrte wütend. Er murrte noch mehr, als zwei Tage vor dem Fest kein Boot den Hafen mehr verlassen oder in ihn einlaufen durfte. Alle Boote wurden alle paar Stunden von Soldaten durchsucht. Gleichzeitig ließ Harchad alle Mietshäuser dicht am Kai niederreißen, sodass
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