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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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vor dem Hafen eine weite Geröllfläche entstand. Das war schon ernster, denn die Straße, von der aus sich Mitt unter die Prozession hätte mischen sollen, gab es nun nicht mehr. Eilends suchten sie sich eine andere, weiter landeinwärts. Mitt und Milda waren entrüstet. Sie hatten in einem der Mietshäuser gewohnt.
    »Die ganzen Gebäude niedergerissen, nur um das Leben dieses widerlichen alten Opas zu schützen!«, rief Mitt. »Das nenne ich herzlose Tyrannei!«
    »Die Häuser hätten schon vor Jahren abgerissen werden sollen«, entgegnete ihm Hobin. »Dort wimmelte es von Ratten und Bettwanzen. Und das Gerede von wegen ›herzlose Tyrannei‹ möchte ich in diesem Haus nicht hören.«
    »Aber die armen Leute wurden einfach auf die Straße gesetzt!«, empörte sich Milda.
    »Na, auf der Straße ist es sauberer«, entgegnete Hobin. Er machte sich für eine Gildenversammlung fertig und kämmte gerade sein Haar. »Auf jeden Fall haben meines Wissens drei Gildenhallen einschließlich der Büchsenmacher angeboten, den Leuten Unterkunft zu gewähren. Außerdem werden neue Häuser für die Menschen gebaut, draußen im Koog.«
    »Der Graf baut ihnen Häuser?«, fragte Mitt ungläubig.
    »Nein«, sagte Hobin. »Als ob der Graf so etwas tun würde! Nein, es ist einer seiner Söhne – Navis, glaube ich.« Er zog sich seine beste Jacke über und ging die Treppe hinunter. Soweit Mitt verstand, ärgerte Hobin sich ein wenig über Navis, weil dieser es wagte, das Angebot der Büchsenmacher zu übertrumpfen.
    »Wenn er zurückkommt, dann spricht er wieder über Weymoor«, sagte Mitt, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. »Du wirst schon sehen. Trotzdem, übermorgen ist nicht mehr die Rede davon, dass du ihn dorthin begleiten musst.«
    »Mitt, ich bin so aufgeregt«, sagte Milda. »All unsere Pläne.«
    Mitt empfand ein angenehmes Prickeln, mehr nicht. »Setzt du denn gar kein Vertrauen in mich?«, fragte er. »Komm. Werfen wir einen Blick auf dieses Kostüm.«
    Milda lachte angespannt und holte die rot-gelben Kleidungsstücke aus ihrem Versteck unter dem neuesten Teppich hervor. »Ich glaube wirklich nicht, dass du weißt, was Furcht eigentlich ist, Mitt. Ehrlich, ich glaube es nicht. So, da hätten wir’s. Mal sehen, ob es passt.«
    Das Kostüm sah eigenartig aus, und Mitt wirkte darin ziemlich lächerlich. Die hautenge Kniehose, die seine dürren Waden bis zur Hälfte bedeckte, hatte ein gelbes und ein rotes Bein. Die Jacke war ebenfalls rot und gelb, nur dass die Seiten vertauscht waren. Mitt war ein wenig zu schmal für die Jacke. Er knöpfte sie eng zu und setzte die kecke Mütze auf, über die zwei Hahnenkämme liefen. »Wie sehe ich aus?«, fragte er.
    Milda war entzückt. »Oh, wirklich stattlich! Du siehst aus, als wärst du der Sohn eines Kaufmanns.«
    Nur allzu bereit, ihr zuzustimmen, blickte Mitt in den kleinen Spiegel. Er fühlte sich großartig und erlitt einen gelinden Schock. Ja, er sah gut aus, so weit hatte Milda Recht. Doch in seinem Gesicht standen Falten, wie man sie auf den glatten Gesichtern der reichen Jungen niemals entdeckte – Falten, die ihn alt und verschlagen wirken ließen. Er hatte das wissende Gesicht der armen Stadtjungen, die auf den Straßen lebten und selbst sehen mussten, wie sie zurechtkamen. Und gleichzeitig – das setzte Mitt am meisten zu – war es das Gesicht eines Kindes. Unter den Falten lagen leere Züge, leerer als bei jedem anderen Jungen, den er je gesehen hatte, und wie bei seinen kleinen Schwestern starrten seine Augen rund und weit aufgerissen in die Welt. Mitt beeilte sich, diesen Ausdruck von seinem Gesicht zu verjagen, indem er sein schalkhaftestes Grinsen aufsetzte. Die hohlen Wangen kräuselten sich, und seine Augen schielten schmal und durchtrieben. Mitt schnipste gegen einen Hahnenkamm.
    »Kikeriki!«, rief er. »Das Fest kann beginnen!« Dann wandte er sich vom Spiegel ab und blickte nie wieder hinein.
     
     

7.
    Schon kurz nach der Morgendämmerung suchte Ham am Tag des Seefestes Hobin auf. Den wären wir los!, dachte Mitt, als er die beiden die Treppe hinuntertrappeln hörte. Um ehrlich zu sein, hatte er in der Nacht nicht so gut geschlafen wie sonst. Aber weil es ein Feiertag war, konnte er eine gute Stunde länger im Bett bleiben. Heute Abend verhören sie mich bestimmt schon, dachte er. Ich ruhe mich am besten aus, so lange ich kann. Doch als Milda ihn rief, war er froh, aus dem Bett springen zu können. Er zog sich erst das rot-gelbe Kostüm an und

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