Jones, Diana Wynne
knapp einige Geschichten, die er von seinen Vettern erfahren hatte.
Hildy starrte ihn an. Obwohl sie sah, dass Ynen genauso erschüttert war wie sie, war ihr geradezu übel von einigem, was er sagte, und eine Eiseskälte ergriff von ihr Besitz. Mit wedelnden Armen stürzte sie auf ihn zu und stieß ihn fest gegen die Wand, damit er den Mund hielt. »Ach sei still! Macht dir das denn gar nichts aus?«
»Natürlich macht es mir was aus«, sagte Ynen. »Aber was soll ich tun?«
Am nächsten Tag wurden die Gefangenen gehenkt. Hadd gestattete den Palastkindern, der Hinrichtung beizuwohnen, wenn sie mochten. Ynen lehnte es sofort ab. Hildy rang noch mit ihrer Entscheidung, denn sie konnte die Brutalität Harchads nicht vergessen, deren Zeugin sie geworden war, da überbrachte ein Diener eine Nachricht von Navis. Er verbot Hildrida und Ynen das Zusehen. Darüber war Hildy sehr erleichtert.
Doch in mancher Hinsicht ist etwas Furchtbares, von dem man nur weiß, dass es geschieht, noch entsetzlicher, als wenn man es beobachtet. Hildy versuchte, nicht auf die Uhr zu schauen, und doch wusste sie genau, wann die Hinrichtungen begannen. Als Jubelgeschrei aus dem Hof ins Zimmer drang, hielt Ynen sich die Ohren zu. Noch schrecklicher wurde es, als ihre Base Irana einen Schreikrampf bekam und davongeführt werden musste. Base Harilla fiel tatsächlich in Ohnmacht, und dem ganzen Rest, ob Jungen oder Mädchen, war sterbenselend.
»Das muss ja grässlich gewesen sein!«, sagte Hildy scheu.
Danach mieden die Geschwister ihren Onkel Harchad, wo es irgend ging.
Nachdem die Stürme nachgelassen hatten, reisten die Grafen wieder ab. Hildys Base Irana Harchadtochter eilte wie im Fieber von Fenster zu Fenster, um einen letzten Blick auf den Grafen der Südtäler zu erhaschen.
Das sentimentale Getue weckte in Hildy solchen Abscheu, dass sie schließlich sagte: »Ich weiß gar nicht, weshalb du dich so aufführst. Er hat dich nicht einmal angesehen. Und ich möchte wetten, er ist doppelt so grausam wie dein Vater. Er guckt noch viel gemeiner.«
Irana brach in Tränen aus. Hildy lachte und ging, um zum ersten Mal in diesem Jahr mit ihrer Jacht Straße des Windes zu segeln. Irana aber ging weinend zu ihrer Base Harilla und berichtete, wie garstig Hildy zu ihr gewesen war.
»Das hat sie gesagt, ja?«, fragte Harilla. »Na schön. Es wird Zeit, dass jemand der Gnädigen Frau Vornehm mal eine Lektion erteilt. Komm, wir gehen zu Großvater. Ich wette, er weiß nicht, dass sie segeln gegangen ist.«
Das wusste Hadd allerdings nicht. Er war ohnehin sehr schlechter Laune, denn er hatte entsetzlich mit Graf Henda gestritten. Die Ankunft des Bootes aus dem Norden hatte ihm in Erinnerung gerufen, wie wichtig sein Bündnis mit dem Baron der Heiligen Inseln war, und der Gedanke, dieses Bündnis könnte gerade in diesem Augenblick Gefahr laufen, in einem Gewitter zu ertrinken, brachte das Fass zum Überlaufen. Er wurde so wütend, dass Harilla es schon fast Leid tat, gepetzt zu haben. Er ohrfeigte sie, als wäre sie schuld an Hildridas Unvernunft. Dann rief Hadd seinen Sohn Navis herbei. Eine halbe Stunde lang stauchte Hadd ihn zusammen. Und als Hildy zurückkehrte, musste sie feststellen, dass sie im übelsten Schlamassel ihres Lebens steckte. Ihr wurde strikt verboten, jemals wieder segeln zu gehen, ganz gleich, in welchem Boot.
In den nächsten Tagen wagte sich Ynen kaum in Hildys Nähe. Sie stahl ihrer Tante einen Bettvorleger aus Fell und saß darin eingewickelt hoch oben auf den Dachplatten aus Blei. Zu wütend, um auch nur zu weinen, blickte sie auf das wunderschöne weite Meer hinaus, das grau und blaugrün gestreift und an den Sandbänken gelblich gefärbt war. Es geht ihm nur um das Bündnis, dachte sie. Ich bin ihm völlig egal. Erst zwei Tage später fiel ihr ein, dass sie wieder segeln könnte, sobald sie auf den Heiligen Inseln wäre. Wenn ich doch nur jetzt schon gehen könnte, dachte sie. Könnte ich diesen entsetzlichen, grausamen Palast doch nur verlassen! Den Rest des Tages verbrachte sie damit, liebevoll ein Gemälde der Straße des Windes anzufertigen. Als es fertig war, schnitt sie es sorgsam in zwei Hälften und beschriftete die eine mit ›Ynen‹ und die andere mit ›Hildrida‹. Dann strich sie ›Hildrida‹ durch und schrieb auch auf diese Hälfte ›Ynen‹. Danach kam sie vom Dach herunter und reichte Ynen beide Hälften des Bildes.
»Da. Jetzt gehört sie dir allein.«
Ynen hielt beide Hälften des Bildes in der
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