Jones, Diana Wynne
Aufruhr. Seit einer ganzen Woche gab es nichts als Festessen und Getue; ununterbrochen wurde verhandelt. Die Kinder hatte man in einen abgelegenen Teil des Palastes abgeschoben und ihnen befohlen, sich nur sehen und nicht hören zu lassen – und sich nur dann sehen zu lassen, wenn man sie rief. Die ganze Zeit über wurde aufgeregt gelinst und gekichert. Hildy hatte nur Verachtung für ihre Basen übrig, die einstimmig zu dem Schluss gekommen waren, der neue Graf der Südtäler sei › furchtbar stattlich ‹ , und ihn bespähten, wann immer sie konnten. Alle wünschten sie, ihm versprochen worden zu sein und nicht, wem auch immer sie verlobt waren. Bei Hildy indessen hatte Tholian einen reichlich unangenehmen Eindruck gemacht, und sie beging den Fehler, Harilla anzuvertrauen, dass er ihrer Meinung nach unfreundlich aussehe.
»Von wegen, Gnädige Frau Eigenbrötlerin!«, rief Harilla. »Ich sag dir trotzdem nicht, wo mein Guckloch ist. Hau ab und such dir dein eigenes.«
Hildy scherte sich nicht um Harillas Unterstellung. Ynen und sie waren ohnehin viel findiger darin, Stellen zu suchen, von denen aus sie beobachten konnten, was im Palast vor sich ging. Sie beobachteten sehr viele Gelage und Musikdarbietungen, bis sie sich damit abfanden, dass der Baron der Heiligen Inseln nicht eintreffen würde.
»Aber warum kommt er denn nicht?«, wunderte sich Hildy.
»Ich glaube, er ist niemandes Gefolgsmann«, sagte Ynen. »Er muss unsere Gewässer vor der Flotte des Nordens schützen.«
Dann aber erfuhren sie, dass wenigstens ein Schiff der Nordlande hindurchgeschlüpft war. Die Hälfte der Grafen war sofort felsenfest überzeugt, es handele sich um den Kundschafter einer Eroberungswelle. Das Durcheinander der Meldungen, der Befehle und der hin und her eilenden Soldaten ließ Hildy an einen aufgestörten Ameisenhaufen denken, und alles wurde noch schlimmer, als die durchnässten Gefangenen hereingeführt wurden. Man verhörte sie und erfuhr, dass zwei von ihnen adlig geboren waren – und nicht nur das, sie waren die Söhne des Grafen von Hannart. Es war, als befiele ein Fieber die Adligen, denn der Graf von Hannart wurde im gesamten Süden gesucht. Ynen erklärte Hildy, dass Keril von Hannart als junger Mann in den Süden gekommen sei und am großen Aufstand teilgenommen habe, als wäre er ein gewöhnlicher Umstürzler.
Über das Schicksal der Seeleute konnte kein Zweifel mehr bestehen. Sie alle wurden vor Gericht gestellt, und es ging um ihr Leben.
Nun ist es so, dass man etwas, womit man aufgewachsen ist, als selbstverständlich voraussetzt. Hildy und Ynen waren es gewöhnt, dass fast täglich Menschen angeklagt und am Strang hingerichtet wurden. Darum machten sie sich keine weiteren Gedanken darüber, dass die Nordländer gehenkt werden sollten. Die meisten Leute im Palast sagten sogar, sie hätten es herausgefordert, indem sie in den Holander Hafen einliefen. Doch waren Hildy und Ynen sehr neugierig auf die Söhne des Grafen von Hannart und wollten sie sehen, solange sie noch lebten. Das war nicht ganz einfach. Hadd fürchtete, dass Freiheitskämpfer versuchen könnten, die Nordländer zu befreien, und darum durfte niemand in ihre Nähe, der nichts mit ihnen zu schaffen hatte. Erst am letzten Tag des Prozesses konnten Hildy und Ynen sich unweit der Zelle des jüngeren Sohnes in einem Bogengang verstecken.
Sie sahen Soldaten aus der Zelle kommen, und ihr Onkel Harchad war bei ihnen. Sie führten den Sohn des Grafen ab. Als sie an dem Bogengang vorbeimarschierten, staunte Hildy, weil der Grafensohn noch so klein war – er konnte nicht älter sein als Harchads eigener Sohn. Er war nur ein großer Junge. Und gerade, als sie vor dem Bogengang waren, drehte sich Harchad plötzlich um und trat den Grafensohn. Anstatt Harchad wütend anzusehen und zu schimpfen, krümmte sich der Junge zusammen und legte schützend einen Arm über den Kopf. »Nicht!«, rief er. »Ich kann nicht mehr.«
Ungläubig blickte Hildy den Soldaten nach, die den Gefangenen zum Gerichtssaal brachten. Sie hatte schon gesehen, wie Umstürzler sich auf diese Weise zusammenkrümmten, und immer geglaubt, dass gewöhnliche Menschen sich eben so benähmen. Doch dass ein Grafensohn zu dem gleichen furchtsamen Gebaren gebracht werden konnte, erschütterte sie bis ins Mark.
»Was meinst du?«, fragte sie Ynen. »Ob Onkel Harchad sehr grausam ist?«
»Klar ist er das«, entgegnete ihr Bruder, »sag bloß, du hast das nicht gewusst?« Ynen erzählte ihr
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