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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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nicht, ihn zu heben.
    Sie bekamen den Fremden nur deshalb an Bord der Straße des Windes, weil er genügend zur Besinnung zu kommen schien, um ein wenig zu helfen. Mitt schob, Hildy beugte sich vor und zerrte. Der Mann zog sich stöhnend und schwach krabbelnd über die Bordwand in die Plicht und brach dort wieder zusammen. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie ihn in die Kajüte gezogen und geschoben hatten und er auf einer Koje lag. Währenddessen überließ Ynen das Beiboot der Siebenfach II seinem Schicksal und fuhr weiter.
    »Möchtest du etwas Wasser?«, fragte Hildy, denn er musste schließlich ausgedörrt sein vor Durst.
    Der Fremde antwortete mit einem Knurren, in dem sie als einzige Worte ›kleine Dame‹ und ›Arris‹ verstand.
    »Lass ihn daran nippen«, riet Mitt. »Vielleicht bringt der Schnaps ihn zu sich.«
    Hildy holte die Flasche und setzte sie dem Mann an die bleichen, vom Wasser aufgeweichten Lippen. Er nahm einen solch tiefen Zug, dass er anfing, Hildy Sorgen zu machen. Als es ihr endlich gelang, ihm die Flasche wegzuziehen, versuchte der Mann schwach, dennoch danach zu greifen. »Arragh!« Hildy zog sich eilig zurück. Er kam ihr vor wie ein erzürntes wildes Tier. Doch fast sofort beruhigte sich der Mann wieder und murmelte etwas anderes mit ›kleine Dame‹ darin. »Bis’en schlafen«, hörten sie ihn sagen.
    »So ist’s recht. Schlaf ein bisschen. Das tut dir gut«, sagte Mitt von Herzen. Er nahm Hobins Handbüchse aus dem Regal über der Koje, wo er sie verstaut hatte, und schob sie, nur um sicherzugehen, wieder in seinen Gürtel.
    Im gleichen Sinne stellte Hildy die Arrisflasche in einen Kasten und legte den Riegel vor. Während sie die Kajüte verließen, blickte sie zurück und bemerkte, dass der Mann die Augen weit geöffnet hatte. Er mochte sie durchaus beobachtet haben. Er konnte allerdings auch halb bewusstlos sein. »Glaubst du, dass mit ihm alles in Ordnung ist?«, wisperte sie.
    »Ganz schön rauer Geselle«, sagte Ynen und wünschte sich sehr, er hätte das Beiboot der Siebenfach II treiben lassen.
    »Er wird es überleben«, antwortete Mitt, »wenn das deine Frage war. Muss aus Eisen sein, der Mann, um noch am Leben zu sein. Wollen wir hoffen, dass er verträglicher ist, wenn er ein bisschen geschlafen hat.«
    »Da kann ich dir nur zustimmen«, sagte Hildy. Die Augen des Mannes standen in dem breiten, blassen und von schwarzen Bartstoppeln bedeckten Gesicht noch immer weit offen und starrten ins Leere.
     

15.
    Den Rest des Tages verschlief der neue Passagier, das Gesicht zur Wand gedreht. So war es auch am besten. Sie ließen ihn zufrieden und vergaßen fast, dass er an Bord war.
    Ynen blieb an der Ruderpinne. Auf diese Weise forderte er die Straße des Windes nach dem Sturm wieder zurück. Er grollte Mitt zwar nicht, weil der während des Unwetters das Kommando übernommen hatte, aber die Straße des Windes gehörte ihm. Sie war das schönste und glücklichste Boot in ganz Holand, und Ynen liebte sie heiß und innig. Dadurch hatten Mitt und Hildy nichts weiter zu tun, als auf dem Kajütendach herumzulungern. Hildy verstand ihren Bruder sehr gut. Mitt amüsierte sich ein wenig, obwohl er bei sich zugab, dass er sich, wenn er so viel Glück gehabt hätte, ein Boot wie die Straße des Windes zu besitzen, wahrscheinlich ganz genauso benommen hätte. Aber ich wäre ein bisschen vorsichtiger mit meinem Anstrich, dachte er.
    Die Straße des Windes machte gute Fahrt nach Nordosten. Land kam jedoch keines in Sicht. Während sie nach Land Ausschau hielten, kamen sie ins Reden und sprachen hauptsächlich über Holand. Mitt erzürnte Hildy, weil er zu glauben schien, im Palast zu leben bedeute endlose Freude tagein, tagaus. Darum erzählte sie ihm, wie es wirklich war, aber es ging über ihre Fähigkeiten hinaus, die Leere, die Einsamkeit und das Gefühl der Vernachlässigung zu beschreiben, mit dem Ynen und sie zurechtkommen mussten. Wenigstens konnte sie Mitt begreiflich machen, dass Hadd sein eigenes Haus ebenso sehr tyrannisiert hatte wie seine Grafschaft.
    »Jeder war so… so unterwürfig, dass niemand einen Charakter besaß«, sagte sie. »Die Tanten waren vornehme Damen, sonst nichts. Und unsere Basen! Immer nur ›Jawohl, Großvater‹ und ›Nein, Großvater‹. Ihr Leben kreiste um hübsche Kleidchen. Alle Menschen, die sich nicht unterwürfig geben wollten, verachteten sie von Herzen.«
    »Die Jungen waren noch schlimmer«, sagte Ynen mit Nachdruck. »Hinter ihrer

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