Jones, Diana Wynne
Unterwürfigkeit hielten sie sich für ganz besonders toll.«
»Wie unsere Onkel«, stimmte Hildy ihm zu. »Ich glaube, Onkel Harl hat, solange Großvater lebte, nie etwas anderes getan, als vor ihm zu kriechen, mit einer selbstgefälligen Miene herumzulaufen und jeden zu langweilen. Aber kaum wurde Großvater erschossen, da betrank sich Onkel Harl zur Feier des Tages. Mir ist scheußlich übel geworden, als ich das mit ansah. Und eins müssen wir Vater lassen – so war er nicht.«
»Aber wie war – wie ist er dann?«, fragte Ynen und betonte ärgerlich das ist. »Man bekommt ja mehr aus einem Fisch heraus, der schon auf dem Teller liegt!«
»Nur dass Fische keine Scherze auf deine Kosten machen«, fügte Hildy hinzu.
»Na, ich habe einige Erfahrung mit Fischen, ob nun auf dem Teller oder nicht«, sagte Mitt. »Sie sehen oft traurig aus. Und da ich Fachmann auf dem Gebiet bin, muss ich schon sagen, euer Vater tut mir Leid, wenn ihr so von ihm sprecht. Ihr wart wohl wirklich eine glückliche Familie, was?«
»Er tut dir Leid?«, fragte Hildy ungläubig.
»Ich weiß, aus meinem Munde klingt das ein wenig seltsam, wie?«, antwortete Mitt. »Aber so wie ich das sehe, darf er nichts anderes tun, als Soldat zu spielen und hin und wieder auf die Jagd zu gehen. Man lässt ihn nichts tun, als mit der glücklichen Familie zusammenzusitzen und Befehle anzunehmen, und weil er nicht auf der Liste steht, um Graf oder sonst was zu werden, bleibt es so, bis er stirbt. Nicht gerade ein erfülltes Leben, was? Er ist im Grunde schon tot, obwohl er noch lange nicht in die Grube fährt.«
Hildy und Ynen schwiegen, während sie diese ungewöhnliche Sicht ihres Vaters verdauten. Selbst nach einer Weile konnte Ynen nicht mehr sagen als: »Nun, ich weiß nicht recht«, und das sagte er wirklich sehr unsicher. Sie wirkten so verstört, dass Mitt sie aufzuheitern versuchte, indem er ihnen Geschichten aus der Zeit erzählte, als er noch für Siriol Fisch verkaufte. Er berichtete auch, wie er die Kundschaft angelockt hatte, und Hildy und Ynen amüsierten sich sehr darüber. Hildy wäre vor Lachen fast über Bord gerollt, und Ynen beugte sich kichernd über die Ruderpinne. Doch das führte zu einem weiteren unbehaglichen Augenblick.
Ynen richtete sich auf, korrigierte den Kurs der Straße des Windes um einen Strich und fragte: »Ist Siriol ein Freier Holander? Er scheint ja sehr nett zu dir gewesen zu sein.«
»Ja.« Mitt begann, an einer Blase zu kratzen, die der Sturm auf dem Anstrich hinterlassen hatte. Er begegnete Ynens Blick und versuchte zu grinsen. Auf Ynens Gesicht entstand der verwirrt-ernste Ausdruck, den Mitt zu fürchten gelernt hatte. »Schon gut. Er gehört zu denen, die meinen Vater verraten haben«, sagte Mitt. »Aber fang nun bloß nicht wieder an, mich zu verhören! Ich sag dir gleich, ich weiß nicht, was ich ihm gegenüber empfinde. Also, er war gut zu mir, und deshalb wollte ich nicht in seine Nähe, nachdem ich die Bombe geworfen hatte, damit die Soldaten ihn nicht kriegen. Mehr weiß ich nicht.«
Ynen öffnete den Mund, um eine weitere Frage zu stellen, doch Hildy hatte gesehen, dass Mitts Gesicht wieder fürchterlich alt geworden war. Sie stieß Ynen an, und hastig stürzten sie sich aufs Essen. Der Überlebende von der Siebenfach II schlief noch immer, darum legte Hildy ihm nur eine recht verwittert aussehende Filetpastete zwischen Gesicht und Kajütenwand. Als sie wieder in die Plicht hinauskam, war Mitt noch immer ganz alt im Gesicht. Hildy sah Ynen an der Miene an, dass er jeden Augenblick weitere Fragen stellen würde.
Sie begann fröhlich von den Heiligen Inseln zu erzählen. Sie wusste nicht genau weshalb, außer dass ihr klar war, in welch schmerzhaftem Gefühlszwiespalt Mitt sich befand. Ein wenig wusste sie selbst, wie sich das anfühlte. Vielleicht waren die Heiligen Inseln auch gar kein gutes Thema. Hildy stand ihnen und Lithar mindestens so zwiespältig gegenüber wie Mitt den Freien Holandern. Darum, und weil sie Mitt ein wenig beruhigen wollte, begann Hildy zu prahlen. Den ganzen langen Nachmittag hindurch, während die Straße des Windes sanft auf den niedrigen blauen Wellen dahinglitt, saß Hildy auf dem Kajütendach und gab mit Lithars berühmter Flotte und der fremdartigen Schönheit der Heiligen Inseln an. Sie erzählte Mitt von dem Zauberstier, dem geheimnisvollen Flötenspiel und dem alten Mann vom Meer und seinen Pferden. Sie berichtete ihm, die Heiligen Inseln seien auserwählt unter
Weitere Kostenlose Bücher