Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
Vom Netzwerk:
verstaute, starrte Hildy rachsüchtig in die Kajüte. »Er ist genau wie unsere Vettern und Basen, Ynen, nur hasse ich ihn viel mehr.«
    »Jedes Mal, wenn er mich ›junger Herr‹ nennt, hasse ich ihn noch stärker«, sagte Ynen.
    »Das muss er aber«, sagte Mitt und trat den Kasten zu, um seinen Zorn wenigstens zum Teil zu entladen. »Er behandelt euch mit Respekt.« Es lag ihm auf der Zunge zu fragen, ob er genauso schlimm gewesen sei wie Al, aber er wagte es nicht, die Frage auszusprechen. Er kannte die Antwort: Sie hätte ja gelautet. Stattdessen teilte er, ehe er sich’s versah, steif und sachlich die Nachtwachen ein. Erneut übernahm er die Morgenwache. Mitt spürte es in den Knochen, dass sie in der Morgendämmerung Land sichten würden.
    Tatsächlich unterschied sich der dumpfe Hass, den die Geschwister Al entgegenbrachten, sehr von den Gefühlen, mit denen sie anfangs Mitt begegnet waren. Ynen sann darüber nach, während er die Straße des Windes durch die Dunkelheit steuerte. Mitt hatte ihnen zuerst furchtbare Angst eingejagt, aber Ynen hatte sich ihm nie unterlegen gefühlt, und Al gegenüber war das sehr wohl der Fall. Kaum hatte sich Mitt auf ein Streitgespräch eingelassen, als Ynens Furcht vor ihm verflogen war. Seine Schwester und er hatten einiges mit Mitt gemeinsam, mit Al aber verband sie nichts. Man konnte ihm nicht vertrauen, man konnte nicht mit ihm reden. Ynen hoffte, der Wind würde am nächsten Tag auffrischen. Wenn Al dennoch auf dem Kajütendach saß, dann, da war sich Ynen recht sicher, könnte er einmal rasch an der Ruderpinne reißen und Al mit der Spiere der Straße des Windes vom Boot fegen.
    Hildy verbrachte ihre Wache, indem sie unglücklich über Onkel Harl nachdachte. Ihr Götter!, dachte sie. Das war, als hätten Ynen oder sie Al dafür bezahlt, Navis zu erschießen. Hildy ekelte der Gedanke daran so sehr, dass sie Mitt geradezu dankbar war, weil er sie gezwungen hatte, nach Norden zu segeln. Nur hatten sie jetzt Al an Bord. Hildy wusste, dass sie alle Schlauheit aufbieten mussten, zu der sie – einschließlich Mitt – fähig waren, um Al zu entkommen, sobald sie Land sichteten. Und sie hatte sich mit Mitt gestritten. Von allen dummen Dingen, wegen denen man die Beherrschung verlieren konnte, ausgerechnet wegen der Heiligen Inseln! Und nachdem Al seine Zweifel gesät hatte, würde Mitt keinem freundlichen Wort von Hildy mehr trauen. Sie verabscheute Al dafür, wie er Mitt behandelte. Zwischen ihnen war es wie zwischen Onkel Harchad und dem Sohn des Grafen von Hannart, nur verletzte Al nicht mit Tritten, sondern durch Worte.
    Sie versuchte Mitt zu zeigen, dass sie ihm freundlich gesinnt war, indem sie ihn sehr sanft für seine Wache weckte. Mitt sprach kaum mit ihr. Er tat sehr schläfrig und taumelte murmelnd an ihr vorbei in die Plicht. Während er die Pinne übernahm und die krängende Straße des Windes durch die schwach silbrig schimmernde See lenkte, war er so verwirrt und elend, dass er kaum bemerkte, was er tat. Die schreckliche Ähnlichkeit zwischen Al und ihm beherrschte seine Gedanken. »Er tat’s für Geld, und ich tat’s für eine gute Sache – einen anderen Unterschied kann ich nicht erkennen«, sagte er sich. »Aber was war das für eine gute Sache?«
    Er spürte einen heftigen Stoß im Rücken. Als er aufblickte, gierte die Straße des Windes auf weißem Meer unter einem weißen Himmel ab. Der Wind hatte sich gelegt und war umgeschlagen. Plötzlich war es um einiges kälter. Mitt brachte die Straße des Windes wieder auf den alten Kurs, knöpfte seine Jacke zu und drehte sich um. Lange betrachtete er Libby Bier. Sie war eine kleine, dunkle Gestalt und viel zu weit weg, um ihn angestoßen zu haben. Trotzdem hatte sie es getan.
    »Hör zu, meine Dame«, sagte Mitt in seinem Elend zu ihr, »darf ich mit dir sprechen? Wirst du mir antworten?« Die kleine knorrige Figur regte sich nicht, noch gab sie sonst ein Zeichen. »Was ich von dir wissen möchte, ist Folgendes: Werde ich am Ende noch schlimmer sein als Al, weil ich so jung angefangen habe?« Libby Bier ließ sich nicht anmerken, ob sie ihn gehört hatte. »Ich verspreche, in Zukunft die Finger vom Morden zu lassen. Hilfst du mir jetzt?« Stille folgte, und nur das unstete Plätschern des Wassers war zu hören. »Anscheinend kann ich nichts denken, ohne es auszusprechen«, erklärte Mitt. »Während ich durchs Leben ging, habe ich immer geglaubt, auf der richtigen Seite zu stehen – einer von den Guten zu

Weitere Kostenlose Bücher