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Jones, Diana Wynne

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Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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den Augenwinkeln sah Mitt eine lange weiße Hand neben seiner an der Pinne. Dieser Anblick war das Risiko wert.
    Das letzte Riff entdeckte er schon selbstständig. Gelbes Wasser sprudelte dort und schoss hoch auf. Nun war es fast Tag. Dann ging die Sonne auf und ließ die See aussehen, als sei sie mit Glasscherben bedeckt. Das Großsegel erschien golden; die Insel voraus schien zur Hälfte aus Gold zu bestehen, Vögel umkreisten sie als blendend weiße Striche, und der Nebel über der rechten Hälfte sah aus wie eine geschmolzene Sandbank. Der Alte Ammet zeigte sich nur als Büschel sonnenbeschienenen Strohs vor dem Mast. Libby Bier war wieder eine knubbelige, mit Garn festgebundene Puppe aus buntem Wachs. Und Mitt empfand so tiefe Enttäuschung, dass er an nichts anderes mehr denken konnte.
    Dann kam er zur Besinnung. Er beugte sich vor und flüsterte in die Kajüte: »Insel voraus! Kommt und schaut selbst!«
     

 
     
     
    Teil 4
     
    Die heiligen Inseln
     

17.
    Aus der Kajüte drang Stoßen und Stolpern. Zu Mitts Verdruss erschien Al in der Tür. Er blinzelte und massierte sich das stoppelige Kinn. Er musterte zuerst die Insel, dann öffnete er den Deckskasten und aß das letzte Stück Käsekuchen. Kauend betrachtete er die Insel erneut. Hildy und Ynen kamen in die Plicht heraus. Sie blickten erst auf den verschwindenden Käsekuchen, dann auf die Insel.
    »Das ist Tulfa«, sagte Al mit vollem Mund.
    »Bist du dir sicher?«, fragte Ynen. »Ich dachte, Tulfa wäre größer.« Die Insel vor ihnen war nicht mehr als ein großer Fels, umschwärmt von dahingleitenden Seevögeln, die lang gezogen und traurig schrien.
    »Ganz sicher«, sagte Al. »Du musst dort in den Nebel steuern.«
    »Ich will’s versuchen«, entgegnete Mitt skeptisch. Es wehte eine unbeständige leichte Brise. Mitt legte die Pinne über und holte das Großsegel ein. Geneigt und sanft schaukelnd lief die Straße des Windes auf den Nebel zu, hinter dem sich das Land verbarg.
    »Sieh dich vor!«, rief Ynen. »Das Land ist schrecklich nah!«
    Da hatte er Recht, wie Mitt rasch feststellte. Nur rund hundert Schritte entfernt hob sich das Festland als ein niedriger grüner Buckel aus dem Wasser. Wieder legte er die Pinne hart über. Die Straße des Windes drehte elegant und stand krängend außerhalb des Nebels. »Du musst dich irren«, sagte Mitt ärgerlich zu Al. »So nah an Tulfa gibt es kein Land. Weißt du jetzt, wo wir sind, oder nicht?«
    »Ich habe eine ungefähre Vorstellung«, sagte Al. »Dreh wieder um.«
    Doch dazu hätten sie lavieren müssen. Außerdem traute Mitt Al nicht im Geringsten über den Weg. Er zögerte und blickte über seine Schulter. Neben Libby Bier entdeckte er ein hohes Schiff, das aus dem Nebel hervorglitt. Die Sonne fing sich gerade in seinen Marssegeln und dem Gold auf ihren vielen Wimpeln.
    Mitt drehte sich wieder zurück. »Was ist…«
    Fast hätte ihn das Schweigen Ynens und Hildys gewarnt. Al hielt wieder Hobins Büchse in der Hand. Mitt blickte in die sechs tödlichen, schwarzen kleinen Mündungen. »Tu, was ich dir sage«, fuhr Al ihn an. Er kam einen Schritt näher. Mitt ergab sich in sein Schicksal. Also würde er durch eine Kugel sterben. Er fand, dass das sehr schade war. Nun würde er nie mehr mit sich ins Reine kommen. Andererseits verdiente er wohl nichts anderes. Er fürchtete sich sehr vor dem Schmerz.
    Doch völlig unerwartet schlug Al ihn, statt ihn zu erschießen. Der kräftige Hieb traf ihn in den Magen, und Mitt krümmte sich auf den Deckskästen zusammen, keuchte und hustete, wurde wütend und fühlte sich dumm und sehr hilflos. Die Straße des Windes gierte in der Brise herum. Ynen streckte die Hand nach der Ruderpinne aus und zog sie sofort zurück, als Al die kleine dicke Büchse auf ihn richtete. Das Boot war nicht in Gefahr. Die Straße des Windes drehte, knirschte und wurde langsamer.
    Das große Schiff näherte sich. Sie hörten das Tauwerk seiner zahlreichen Segel knarren, sahen den Nebeltau als Tröpfchen auf der Leinwand glänzen und machten jedes einzelne Korn in der Weizengarbe aus, die in seinen Bug geschnitzt war. Haushoch erhob es sich über der Straße des Windes und nahm dem Boot den letzten Rest Wind aus den Segeln. Al grinste an der Bordwand hoch, er war sichtlich hoch zufrieden mit sich selbst.
    »Das ergibt sich ja wunderbar«, sagte er, sprang auf das Kajütendach und lief es entlang. »Hallo, Weizengarbe! He, dort! Benk! Habt ihr Benk an Bord?«
    Das große Schiff wendete.

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