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Jones, Diana Wynne

Jones, Diana Wynne

Titel: Jones, Diana Wynne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: 02 Die heiligen Inseln
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in Tränen aus und schob sie fort.
    »Aber sie bringen doch Glück!«, sagte Canden verwirrt.
    Siriol holte einen der Karamelläpfel, die am anderen Ende des Standes verkauft wurden, und drückte ihn Mitt in die tränenfeuchte Hand. »Hier«, sagte er. »Versuch den, der wird dir schmecken.« Da hatte er Recht. Mitt vergaß seinen Kummer ein wenig bei dem Versuch, durch die Karamellschicht an den Apfel zu gelangen.
    Ein Geheimnis umgab diese Freunde seines Vaters. Mitt wusste, dass seine Mutter sie nicht leiden konnte. Wenn die Eltern sich nachts stritten, hörte Mitt, dass Milda vieles gegen sie einzuwenden hatte. Als der Winter kam, häuften sich die Einwände, doch etwa zu Neujahr sagte sie schließlich: »Also schön, tu, was du willst! Aber dass du nicht mir die Schuld gibst, wenn die Soldaten dich holen kommen!«
    Es muss ungefähr eine Woche später gewesen sein; draußen war es bitterkalt, als Mitt plötzlich mitten in der Nacht aus dem Schlaf auffuhr. An der Zimmerdecke flackerte ein roter Lichtschein. Er hörte Knistern und Rufe aus der Ferne und roch Rauch. Eins der großen Lagerhäuser am Kai stand in Flammen, Mitt konnte es sehen, nachdem er sich auf einen Ellbogen erhoben hatte. Die Flammen schlugen in den Himmel und spiegelten sich im Hafen auf dem dunklen Wasser. Doch davon war Mitt nicht aufgewacht, sondern von dem leisen Schlurfen vor der Zimmertür. Das Geräusch verursachte eine Gänsehaut bei ihm. Er hörte, wie Milda an der Laterne hantierte und leise jammerte, weil sie den Docht einfach in der Eile nicht ans Brennen bekam. Als das Licht endlich anging, sah Mitt, dass sein Vater gar nicht da war. Milda eilte mit der Laterne durchs Zimmer zur Tür. Im Laufen warf sie Schatten an die Wände, dann riss sie die Tür auf.
    Canden stand davor. Er musste sich am Türrahmen festhalten, um auf den Beinen zu bleiben. Mitt konnte ihn nicht genau erkennen, weil Milda die Laterne falsch hielt, aber er wusste, dass Canden entweder verletzt oder sehr krank war, vielleicht auch beides. Das las er Canden am Gesicht ab. Mitt glaubte zu sehen, dass der Teil von Canden, der sich hinter Milda und dem Türrahmen befand, nicht die richtige Form besaß. Es überraschte ihn nicht, dass Milda einen furchtbaren, unterdrückten Schrei ausstieß.
    »Iiiiieh! Was…? Ich wusste doch, es würde schief gehen!«
    »Harchads Männer«, sagte Canden. Er klang empört. »Sie haben auf uns gewartet. Spitzel, nichts anderes sind sie. Dideo, Siriol, Ham. Sie haben uns verraten.«
    Canden erbebte unwillig und rutschte am Türrahmen zu Boden. Milda kniete sich neben ihn, zog die Laterne dicht an sich und wimmerte. »Ach ihr Götter! Was soll ich denn nur tun? Was kann ich denn tun? Warum hilft denn niemand?«
    Vorsichtig wurden treppauf, treppab Türen geöffnet und wieder geschlossen. Frauen kamen herbei, alte Mäntel über die Nachthemden gezogen, und brachten mehr Laternen oder Kerzen. Es wurde viel geflüstert, sorgenvoll und besänftigend, während Milda sich stöhnend auf den Knien wiegte. Mitt war zu erschrocken, um sich zu rühren. Er wollte weder Canden noch seine Mutter ansehen, deshalb blieb er auf dem Rücken liegen und starrte zur Decke. Die geschäftigen Frauen glaubten wohl, er sei wieder eingeschlafen, und nach einer Weile nickte er wirklich ein. Am Morgen war Canden fort. Aber er war da gewesen, denn er hatte einen Fleck auf dem Fußboden hinterlassen. Und Mitts Vater war noch immer nicht zurück.
    Mitt wusste, dass sie beide tot waren. Niemand sagte es ihm, aber er wusste Bescheid. Er wusste nur nicht, was geschehen war, und wollte es auch nicht erzählt bekommen. Aber er war neugierig, warum die Frauen aus dem Mietshaus kamen und zu Milda sagten: »An deiner Stelle würde ich mich eine Weile nicht blicken lassen. Oder willst du auch verhaftet werden?« Milda ging tagelang nicht zur Arbeit und saß nur reglos am Fenster. Ihr Gesicht war so stark eingefallen, dass die Falte, die an die Stelle ihres Grübchens getreten war, nun eher wie eine runzlige Narbe aussah. Mitt hasste es, sie mit solch einem Gesicht zu sehen. Er kauerte sich zu ihren Füßen nieder und bat sie, ihm zu sagen, was geschehen war.
    »Du bist zu klein, um das zu verstehen«, sagte Milda.
    »Aber ich möchte es wissen«, entgegnete Mitt. »Was ist mit Vater geschehen?« Gut vierzig Mal fragte er, bevor er eine Antwort erhielt.
    »Er ist tot«, sagte Milda. »Ich hoffe wenigstens, dass er tot ist, denn alle sagen, sie wären lieber tot, als sich von

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