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Jones, Susanna

Jones, Susanna

Titel: Jones, Susanna Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wo die Erde bebt
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Erst noch kurz üben. Kocha o hitotsu. Kohi o hitotsu. Und wie sag ich
    «Hängen Sie ans Ende einfach kudasai. Okay, jetzt rufe ich die Kellnerin.»
    Lily sagte ihren Spruch auf, und die Kellnerin verstand sie glücklicherweise.
    «Irre. Ich rede Japanisch! Wenn Andy erst davon hört!»
    «Ich dachte, Sie stehen nicht mehr mit ihm in Kontakt.»
    «Tu ich auch nicht. Er wird nie herausfinden, dass ich hier bin. Das weiß so gut wie niemand. Ich will ihn nie wieder sehen, aber gleichzeitig kann ich mir nicht vorstellen, dass ich ihn nie wieder sehen werde.»
    «Wieso?»
    «Wie gesagt, er war so besitzergreifend. Ich glaube, er spürt mich entweder irgendwann auf und reist mir nach, oder er lernt eine andere kennen und fixiert sich eben stattdessen auf sie.»
    «Das wäre besser.»
    «Hatten Sie vorhin nicht gesagt, Sie hätten einen festen Freund? Wie heißt er denn?» «Teiji.»
    «Ist er auch Übersetzer?»
    «Er ist Fotograf. Na ja, er arbeitet in einem Nudellokal.»
    «Aber er möchte Fotograf werden. Wunderbar. Ich mach unheimlich gern Fotos, aber ich kann's nicht besonders gut. Ich mag Bilder von Aussichten - ich meine Sonnenuntergänge und so. Ich wollte, ich hätte jetzt eine Kamera dabei. Verkauft er seine Bilder oder was?»
    «Nein. Ich glaube nicht. Ich weiß nicht.»
    «Aber später mal?»
    «Kann ich nicht sagen.»
    «Aber es ist ein Hobby. Er kann sie sich also an die Wand hängen, damit's gemütlicher wird, und sie verschenken und so. Das ist hübsch.»
    Warum machte Teiji eigentlich Fotos? Ein paar hatte er mir geschenkt, aber im Prinzip tat er damit nichts. Mir war klar, dass das für Lily merkwürdig klingen musste, aber ich wollte nicht mit ihr darüber reden.
    «Glauben Sie, dass Sie lange in Japan bleiben werden?»
    «Ich weiß nicht. Es ist komisch, weil ich erst so kurz hier bin, aber ich hab schon ein bisschen Heimweh. Ich vermisse Dinge, die mir wahrscheinlich völlig egal wären, wenn ich jetzt zu Hause wäre. Geht Ihnen das auch so?»
    «Jetzt bin ich hier zu Haus, also kann ich mir lediglich vorstellen, wie viel Heimweh ich hätte, wenn ich jemals aus Japan wegmüsste.»
    «Ich vermisse Fish and Chips. Und Geschäfte, in denen ich mir kaufen kann, was ich will. Ich hab festgestellt, dass die Schuhe mir hier alle zu klein sind. Worauf ich jetzt richtig Lust hätte, wäre ein Bummel durch Whitefriargate, um mir Schuhe anzusehen.»
    «Das stimmt. Mit meinen großen Füßen habe ich auch ein echtes Schuhproblem.»
    «Vermissen Sie die Küste von Yorkshire?»
    «Nein.»
    «Es muss doch irgendetwas geben, was Sie daran mögen.»
    «Aber ja. Die Erosion. Dieser Teil der Küste ist davon weltweit mit am schlimmsten betroffen. Man kann förmlich zusehen, wie das Land ins Meer bröckelt. Jedes Jahr bricht ein guter halber Meter weg und geht unter. Oder schwimmt nach Süden und wird zu einem Stück von East Anglia. Das ist etwas, was mir gefällt.»
    «Als Kind war ich oft am Meer. Wir sind da immer am Wochenende hingefahren. Ich weiß noch, ich planschte im Meer herum, bis meine Haut ganz blau war. Und dann gab es diese riesigen Wellen, die einen umgeschmissen haben. Die Kälte konnte ich nicht ausstehen, aber ich war gern im Wasser.»
    Mit einem Ruck war Lucy in die Vergangenheit zurückversetzt und bekam nichts mehr von dem mit, was Lily weiter sagte. Lucy schwamm, versuchte, sich schnell genug zu bewegen, um nicht zu frieren, als sie pelzige Hände spürte, die ihre Beine streichelten und umklammerten. Im ersten Moment dachte sie, es sei einer ihrer sieben Brüder, ein Jux, aber die Berührung fühlte sich weiblich und beharrlich an, wie die Liebkosung einer Meerjungfrau. Sie dachte, es ziehe sie hinunter, unter die Wellen, wolle sie ertränken, aber nicht gewaltsam — sanft und leise. Ein paar Minuten später kniete sie in seichten Wellen. Beide Beine mit dunklem schwerem Tang umwickelt.
    «Ich hab am Strand gern Zuckerwatte gegessen», hörte Lucy Lily sagen.
    «Ich auch. Ich liebte Zuckerwatte.»
    «Und Eiskrem, aber da ist immer der Sand reingeweht und blieb überall dran kleben.»
    Wir tranken schweigend aus. Ich hatte Gänsehaut von der Klimaanlage. Als wir wieder in die feuchte Wärme kamen, war ich überrascht, mich in Tokio wiederzufinden.
    «Ich hätte nie gedacht, dass ich mal nach Japan kommen würde», sagte Lily, während sie ihre Strickjacke auszog. «Wenn man mich vor einem Jahr gefragt hätte, hätte ich's nicht mal auf der Landkarte gefunden.»
    An dem Punkt hätte

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