Jordan, Penny
Hatte ihre Mutter nicht einem der stolzesten Völker der Erde angehört? War ihr Vater nicht der Neffe des Laird des MacGregor-Clans gewesen?
Zum ersten Mal im Leben richtete Rachel sich selbstbewusst auf. O ja, sie würde mit Tim fahren. Vielleicht war ihre Beziehung nur von kurzer Dauer, aber in der Zeit konnte sie eine Menge von ihm lernen.
Sie öffnete den Mund und versuchte, die Sprechweise des jungen Mädchens nachzuahmen. Es klang ziemlich gekünstelt, aber das musste nicht so bleiben. Eines Tages würde auch sie sich mit einer Aura aus Reichtum und Sicherheit umgeben. Inzwischen wollte sie diese herrlichen Sachen als Hinweis darauf betrachten, dass sie mit Tim ins Wochenende fahren sollte.
Den anderen erzählte Rachel nichts von ihrer neuen Garderobe. Bernadette hätte sie sowieso nicht verstanden. Stattdessen brachte sie alles in die Reinigung und ging los, um einen Koffer zu kaufen. In einem Secondhandgeschäft entdeckte sie endlich, was sie suchte: ein Vuittonmodell, wie sie es auf dem Hotelbett liegen sehen hatte. Mit zehn Pfund war der Koffer doppelt so teuer wie ein neuer aus dem Kaufhaus. Doch plötzlich wünschte sich Rachel diesen Koffer mehr als alles andere auf der Welt. Er war für sie zum Inbegriff dessen geworden, was sie sich vom Leben erhoffte – ein Ziel, das sie anstreben konnte.
Sie trug den Koffer in ihr Zimmer. Heute erwartete Tim ihre Antwort. Sie konnte ruhig mit ihm fahren. Was hatte sie schon zu verlieren?
Tim holte Rachel kurz nach dem Mittagessen mit seinem Sportwagen ab. Das Verdeck hatte er wegen des leichten Herbstregens zugeklappt. Der feine Ledergeruch der cremefarbenen Sitze stieg ihr in die Nase, und sie bemerkte Tims Überraschung. Sie trug den Faltenrock mit einer dezenten Bluse, deren Kragen ordentlich über einem Pullover mit rundem Ausschnitt lag. Dazu hatte sie passende feine Wollstrümpfe und schlichte flache Schuhe gekauft. Ihr Haar fiel glänzend über ihre Schultern, und als Make-up hatte sie ausschließlich Lippenstift aufgetragen. Sie wusste, dass sie sich äußerlich nicht von den Studentinnen unterschied, die sie so heftig beneidete, und lächelte zuversichtlich.
Ein- oder zweimal blickte Tim während der Fahrt nach Dorset zu ihr hinüber. Rachel sah heute anders aus. Sie war eher wie seine Schwestern gekleidet und nicht, wie es ihrem tatsächlichen Lebensstil entsprach. Zum ersten Mal fragte er sich, ob sie ihn vielleicht belogen hatte und gar keine Waise war. Zweifel erfassten ihn wegen seines sorgfältig ausgetüftelten Plans. Die anderen würden erst morgen kommen, das hatte er absichtlich so eingerichtet.
Plötzlich hatte er Lust auf einen Joint. Die ganze Woche hatte er kein Dope zu sich genommen, um für den großen Augenblick einen klaren Kopf zu behalten. Jetzt wurde er richtig deprimiert und gereizt. Und er wünschte, Simon wäre da, der niemals von Zweifeln geplagt zu werden schien und um keinen Preis von einem einmal eingeschlagenen Weg abwich.
Rachel spürte, dass etwas nicht stimmte. Doch Tim schwieg, deshalb wagte sie nicht zu fragen. Dann lag Marchington in seiner ganzen Schönheit vor ihnen, und ihr schnürte sich der Hals zu.
„Wir haben hier übrigens ein Gespenst. Du brauchst also keine Angst zu haben, wenn du nachts Schritte hörst“, sagte Tim leichthin.
Sie sah ihn besorgt an und sehnte sich plötzlich nach der vertrauten Sicherheit ihres Hotelschlafzimmers.
Die Tore standen offen, und Tim fuhr unter den Adlern mit den ausgestreckten Schwingen hindurch. In ihren Schnäbeln trugen sie ein Band aus Stein mit der Inschrift: „Durch unser eigenes Streben werden wir überleben.“ Ein sehr passendes Motto, an das sich Generationen von Wildings buchstabengetreu gehalten hatten.
Das Haus wirkte einsam und verlassen. Wo war Tims Familie, die sie heute eigentlich kennenlernen sollte? Die drei jüngeren Schwestern, von denen er mit brüderlicher Verachtung erzählt hatte, die Eltern und der Großvater, der ebenfalls hier lebte?
Fragend sah sie Tim an.
„Hm, es sieht ganz so aus, als wäre niemand da – seltsam.“ Er hielt den Wagen an und stieg aus. „Macht nichts, früher oder später werden sie schon kommen. Gehen wir hinein.“
Unsicher folgte Rachel ihm. Die Doppeltür führte in eine höhlenartige, ziemlich dunkle Halle. Rachel blieb auf der Schwelle stehen und blickte zum Wagen zurück.
„Mein Gepäck …“, begann sie.
„Darum brauchst du dich nicht zu kümmern. Eins der Mädchen wird es später holen.“
Eins der
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