Jordan, Penny
Mädchen … Ein Mädchen wie sie … Rachel unterdrückte ihre aufsteigende Furcht.
„Komm, ich zeige dir den Palast, während wir auf die Rückkehr meiner Familie warten.“
Tim ergriff ihre Hand und zog sie durch eine ganze Reihe riesiger Räume, die alle nur spärlich möbliert waren und kalt und muffig nach Alter und Verfall rochen. Rachel spürte seine Erregung und Spannung und führte beides darauf zurück, dass er sich ebenfalls Sorgen darüber machte, wie seine Familie sie aufnehmen würde.
Sie standen in einem schmalen eiskalten Gang mit Steinfußboden. Am Ende war eine Tür, und Rachel widerstrebte es plötzlich heftig, noch weiterzugehen. Sie blieb stehen, und Tim drehte sich stirnrunzelnd zu ihr.
„Was ist denn los? Ich will dir nur die Familienkapelle zeigen. Sie ist ausgesprochen berühmt.“ Er öffnete die Tür und kümmerte sich nicht darum, dass Rachel zitterte. „Der Familienpriester wurde genau hier vor dem Altar ermordet“, erzählte er achtlos und zog sie über die Schwelle. „Der Fleck auf dem Boden soll von seinem Blut stammen und lässt sich beim besten Willen nicht entfernen …“
Rachel konnte sich nicht rühren. Eine instinktive Furcht, die sie niemandem hätte erklären können, ergriff ihren ganzen Körper. Sie wusste nur, wenn sie diesen kleinen schlichten Raum mit dem Altar und dem Kreuz sowie den Buntglasfenstern, die die Leiden Christi am Kreuz darstellten, betrat, würde ihr etwas so Schreckliches passieren, dass ihr ganzes Leben davon bestimmt wurde.
Viele Male hatte die Großmutter von „Gesichtern“ gesprochen, aber sie selbst hatte nur einmal beinahe eines gehabt – damals, als die Großmutter sterben musste. Doch als sie nun zum Altar blickte, schien er sich unmerklich zu verändern. Ein grauer Schleier verdunkelte den Raum und sperrte das Sonnenlicht aus. Um den Altar herum erkannte sie dunkle formlose Gestalten – Männer in Roben. Und auf dem Altar lag ein Körper – der Körper einer Frau …
Panische Angst und wildes Entsetzen erfassten Rachel. Sie spürte die Kälte des Todes, wie sie sie damals gespürt hatte, bevor ihre Großmutter starb. Instinktiv wich sie zurück und wagte weder, den Blick vom Altar zu nehmen, noch sich umzudrehen und davonzulaufen, wie sie es gern getan hätte, damit die makabre, furchterregende Vision nicht Wirklichkeit wurde.
Tim, der ihre Hand losgelassen hatte und weiter zum Altar gegangen war, drehte sich zu ihr.
„Was hast du?“ Er runzelte die Stirn und war verärgert.
Rachel merkte es, aber keine Macht der Welt hätte sie in diesen Raum gebracht. Darin war das Böse, selbst die Luft roch widerlich danach. Rasch machte sie das Zigeunerzeichen, um böse Geister abzuwenden, und trat in den schmalen Gang hinaus.
„Nein – nein! Ich kann dort nicht hineingehen!“
Tim war fasziniert, und seine Verärgerung legte sich, während er ihr in die Augen blickte. Rachel hatte etwas gespürt – vielleicht sogar gesehen. Sie eignete sich wunderbar für seine Pläne – einfach wunderbar. Erneut fühlte er, wie ihn das Gefühl der Macht durchströmte. Beinahe trunken vor Erregung, lachte er leise.
„Dummes Mädchen, du brauchst doch keine Angst zu haben.“ Seine Stimme klang schadenfroh, beinahe triumphierend.
Ich hätte nicht herkommen dürfen, erkannte Rachel. Etwas Gefährliches, Fremdes lag in der Luft. Sie wusste nicht, was es war, spürte aber instinktiv die Bedrohung. Ein Geruch nach Verderbtheit und Bösem lag über diesem Haus – und Tim. Sie sah ihn an, und ihr schien, als sähe sie ihn heute zum ersten Mal.
Sie musste fort – auf dem schnellsten Weg. Eine Angst, wie sie sie noch nie im Leben empfunden hatte, erfasste sie. Das Gefühl für das Böse und die Gefahr löschte alles andere bei ihr aus.
Den ganzen Weg den schmalen Gang hinab hatte Rachel den Eindruck, keine Luft mehr zu bekommen, und als sie endlich die Halle mit ihren zahlreichen Türen erreichten, war ihre Haut trotz der inneren Kälte schweißbedeckt.
Plötzlich hörte sie draußen einen Wagen. Tim, der ihr gefolgt war, runzelte die Stirn und ging zum Fenster. Die anderen kamen früh. Er erwartete sie erst morgen.
Hilflose Wut befiel ihn, als er den Daimler seines Großvaters entdeckte. Was wollte der alte Mann hier? Er sollte in Schottland sein. Tim presste die Hände zusammen und grub die Fingernägel in die Handflächen.
Lord Marchington hatte sich nie vom guten Aussehen und dem oberflächlichen Charmes seines Enkels täuschen lassen. Vor
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