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Jorina – Die Jade-Hexe

Jorina – Die Jade-Hexe

Titel: Jorina – Die Jade-Hexe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Cordonnier
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sagen hast!«
    Jorina legte resigniert den geschnitzten Elfenbein-Kamm zur Seite, mit dem sie ihre offenen Haare entwirrt hatte. Sie wusste, dass St. Cado sie einer niederträchtigen Prüfung unterwarf. Er wollte einen Beweis ihrer Fügsamkeit, und wenn sie ihn nicht gab, würde Raoul die Zeche dafür zahlen müssen.
    »Ich warne Euch«, murmelte sie spröde. »Wenn Ihr Euer Wort nicht haltet, werde ich ...«
    Glücklicherweise unterbrach er sie, ehe sie eine Drohung präzisieren musste, von der sie selbst nicht genau wusste, wie sie lauten sollte. Womit konnte man einem solchen Schurken noch drohen?
    »Behalte deine Zaubersprüche für dich«, fuhr er sie wütend an. »Ich könnte mich sonst gezwungen sehen, in St. Cado zu vollenden, was die Leute von Penhors begonnen haben.«
    Sie wusste, dass er auf den Scheiterhaufen anspielte, und sie schloss die Augen, damit er den Schrecken nicht entdeckte, den sie beim bloßen Gedanken daran empfand. Ein beschwörendes Gebet an höhere Mächte stieg in ihrem Inneren auf. Wenn sie nur so lange durchhalten konnte, bis Raoul de Nadier sich in Sicherheit befand! Welchen Sinn sollte ihr armes Leben haben, wenn nicht diesen?
    Für den Herzog jedoch sah es aus, als senke sie gehorsam den Blick, um ihr schweigendes Einverständnis zu geben. Er knurrte befriedigt und verließ das Gemach, nicht ohne aus den Augenwinkeln zu beobachten, wie sie ihm scheinbar freiwillig folgte. Sie bewegte sich nicht so anmutig wie sonst, aber das tat ihrer Erscheinung keinen Abbruch. Im Gegenteil, es wirkte, als habe sie eine lange, erschöpfende Nacht hinter sich. Auch die tiefen violetten Schatten unter den Augen und die geschwollenen Lippen, die noch seine brutalen Bissspuren trugen, ließen sich als Folgen wilder Leidenschaft auslegen.
    Jorina ging wie in Trance neben ihm die breite Treppe in die große Halle hinunter. Ein Teil der Söldner lümmelte dort müßig auf den Bänken herum, trank, würfelte oder vergnügte sich mit kreischenden Mägden. Zum ersten Mal fiel Jorina auf, dass es in dieser Festung sogar Kinder gab. Die Jüngeren balgten sich in schäbigen Hemden mit den Hunden auf dem Stroh, sobald sie jedoch verständig genug waren, wurden sie offensichtlich zur Arbeit herangezogen. Sie sah in einer Ecke ein paar kleine Mädchen, die kaum älter als fünf Jahre sein konnten, Flachs zupfen.
    Alle miteinander, vom Kind bis zum Hauptmann, gafften sie die schlanke Gestalt in der roten Seide an, deren offene Haare wie eine Wolke hinter ihr herwehten. Da sie scheinbar ohne äußeren Zwang hinter dem Herzog herschritt, den Blick demütig gesenkt und den Körper schamlos zur Schau gestellt, zweifelte niemand an ihrem neuen Status. Ein Großteil der Kerle starrte gierig auf die kaum verhüllten Brüste und gab sich bereits der Vorfreude hin, was sein würde, wenn sie den Herrn langweilte. Denn das taten sie am Ende alle, sodass er dann wieder zu Maé und ihren bodenständigen Reizen zurückkehrte.
    Jorina fühlte die Blicke wie unziemliche Berührungen. Wenn schon sie alle ihr Urteil beim ersten Sehen fällten, was würde erst Raoul von ihr denken? Sie versuchte, sich dagegen zu wappnen. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben. Das zerbrechliche Gleichgewicht der Macht, das zwischen ihr und Paskal Cocherel herrschte, hing allein von ihrer Verstellungskunst ab.
    Sie vergaß freilich für einen Moment ihre Sorgen, als sie durch das große doppelflügelige Portal traten und der Innenhof der Burg sich im schwachen Licht des nebligen Novembermorgens vor ihr erstreckte. Das Gegacker von Hühnern, die gedämpften Laute aus den Ställen und Scheunen, das Quietschen des großen Zugbrunnens und der Lärm der Männer, die irgendwo außerhalb ihres Blickfeldes Waffenübungen abhielten, fügte sich zum Bild eines Krieger-Haushaltes zusammen, dem es an der Ordnung und Sauberkeit fehlte, aber beileibe nicht an der Verteidigungskraft.
    Jorina, die lediglich den fest umrissenen, streng geordneten Tagesablauf des Klosters kannte, staunte über den Trubel. Sie registrierte aber auch den Mist und Kot auf den steinernen Platten, die Mägde, die tratschend beim Hühnerstall standen, und die allgemeine Vernachlässigung jener Gebäude, die nichts mit Krieg und Waffenhandwerk zu tun hatten.
    Neben dem Eingang zum rechteckigen Torturm standen zwei bewaffnete Männer. Die gekreuzten Hellebarden hoben sich beim Anblick des Herzogs, um den Weg freizugeben. Jorina fröstelte beim Anblick der Gesichter, die fast völlig unter den

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