Josef und Li: Roman (German Edition)
konnte, verschwand er nach draußen.
Josef fand am Fenster der Familie Nguyen Zuflucht. Li klebte gerade die kaputte Vase zusammen, die Josef und Olík neulich unabsichtlich umgeworfen hatten und die in tausend Stücke zersplittert war. Die letzte Nachmittagssonne gab sich die Ehre, es war noch ein wenig Wärme zu spüren und aus dem zweiten Stock hörte man das Klavierspiel des Herrn Bílek.
Josef setzte sich neben Li und schaute wortlos zu, wie die Vase nach und nach ihre ursprüngliche Form wiedergewann, wie die Mandelbäume wieder ihre Blüten erhielten, die Pagoden ihre Dächer und die kleinen Damen und Herren – die zwischen den Tempeln ruhten, miteinander sprachen oder spazieren gingen – ihre Ärmchen, Beinchen und Köpfchen. Li reinigte sorgfältig jeden Splitter, dann bestrich sie ihn mit Leim und setzte ihn an die passende Stelle. Josef verstand nicht, woher Li diese Geduld nahm. Er selbst hätte die Scherben wahrscheinlich schon längst weggeworfen. Und ausgerechnet heute war sein Geduldsfaden besonders angespannt.
»Den Vase mir hat gegebe Oma, war er sehr lieb Frau, du weiss«, sagte Li zu Josef, weil sie genau wusste, was Josef dachte und sie ihm erklären wollte, warum sie sich mit jedem Stückchen so abplagte.
»Die Vase hat mir Oma gegeben, sie war eine sehr liebe Frau«, verbesserte Josef Li mit Nachdruck, als ob er die Frau Lehrerin wäre.
»Und du eine ganz schreckliche … Kerl!«, erzürnte sich Li. Josef sagte nichts mehr und schaute finster in den Hof. Als er schon eine gute Minute so weilte, hielt es Li nicht mehr aus und sagte: »Na komm, Josef, was los sein? Du Probleme?«
Josef winkte nur ab, man könnte ihm sowieso nicht helfen und verfiel wieder seinen düsteren Gedanken. Aber Li wollte nicht, dass Josef in düstere Gedanken verfiel, und so sagte sie:
»Li – Freund von Josef?« Und das bedeutete nichts anderes als: Hey, Josef, hier so rumzusitzen und Trübsal zu blasen hat echt keinen Sinn, ich könnt dir vielleicht helfen, aber du musst mir schon sagen, was passiert ist.
»Okay, Li Freund von Josef«, sagte Josef und schon sprudelte es aus ihm heraus: »Bei uns wohnt jetzt eine Hydra, ich meine Marta, und die will unseren Papa, und ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll!« Und wer hätte das gedacht – es wurde ihm gleich ein wenig wohler. Li betrachtete Josef eine Weile, als ob sie diese Information von allen Seiten beleuchten müsste, und dann fragte sie:
»Und deine Papa wollen zwei Fraue?«
Josef zuckte mit den Schultern. Er hatte keinen blassen Schimmer. Li zeigte ihm ein Foto, das in ihrem Eckregal zwischen einer Buddhastatue und kleinen Schälchen mit Duftöl stand. Es stammte aus uralten Zeiten und man sah darauf Lis lächelnden Urgroßvater umgeben von ihren zwei Urgroßmüttern. Und alle sahen höchst zufrieden und fröhlich aus.
»Mein Urgroßvater auch zwei Urgroßmami«, sagte Li, um Josef aufzubauen.
»Aber ich will keine zwei Mami!«, gab Josef zurück und fühlte sich überhaupt nicht aufgebaut.
»Dann du musst den Hydra …«, sagte Li ganz leise und stockte dann kurz. Sie sah sich um, ob sie auch ja niemand belauschte, richtete ihre dunkelbraunen Augen auf Josef und es sah fast schon so aus, als würde sie etwas ganz Schreckliches sagen, und dann flüsterte sie endlich: »… aus Kopf von Papi rausscheuche!«
Josef war erleichtert, dass Li ihm nicht etwas Drastischeres vorgeschlagen hatte.
»Das sagt sich so leicht. Aber wie?«
»Der Hydra hübsch sein?«, fragte Li und noch bevor Josef antworten konnte, trat Marta gerade in den Hof hinaus.
»Das ist die Hydra.« Josef deutete unauffällig auf sie.
»Der Hydra bjuuuutifull sein!«, seufzte Li und konnte sich nicht sattsehen. Marta sah an dem Tag wirklich sehr gut aus und sie hatte ihre Haare ein bisschen grün, ein bisschen violett gefärbt.
»Und der Papa ist auch nicht aus Stein, gell«, bemerkte Josef.
Herr Klička sah auch nicht aus, als ob er aus Stein wäre, als er Marta in die Werkstatt hinterherlief, dass es nur so schnalzte.
Jetzt sah Li wiederum besorgt aus. Das wird schwierig, das wird sehr schwierig, dachte sie, und Josef tat ihr immer mehr leid. Und dann schaute sie die zusammengeklebte Vase an, die aussah, als ob sie niemals kaputt gewesen wäre, und sagte: »Schau, Josef, der Vase wieder ganz sein.«
Und es war so, als würde sie sagen, dass es meistens nicht so schlimm ist, wie es auf den ersten Blick aussieht, und auch
wenn es nicht nur so aussieht und wirklich
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