Josef und Li: Roman (German Edition)
hören, aufhören bis einundzwanzig zu zählen und endlich die Augen schließen und wieder im Garten des alten Hauses sein, Stöckchen spielen mit Mi Thui oder mit ihren Cousins auf dem Fahrrad um das Becken fahren, in dem der Onkel Nguyen Aquariumfische züchtete.
»Du wirst dich erkälten«, sagte Josef und Li schwieg immer noch.
»Du sprichst nicht mit mir? Was habe ich dir denn getan?« Josef ahnte nicht, warum Li so betroffen dreinblickte, und er hatte überhaupt keine Lust, weiter nachzuforschen.
Oder er ahnte es doch – aber das wollte er vor Li nicht zugeben, wenn er es nicht mal sich selbst eingestand –, dass er jetzt lieber mit den Jungs zusammen wäre und es ein bisschen so aussah, als wäre nur noch Li für ihn übergeblieben.
Aber Li wollte niemandes Überbleibsel sein. Und so bemühte sie sich um einen zurückhaltenden Gesichtsausdruck und zählte schon zum dritten Mal bis einundzwanzig.
»Hör mal, weißt du was? Du kannst mir auf den Buckel!«, sagte Josef und es sah fast so aus, als ob auch er langsam auf Li böse wurde. Aber gleich darauf wurde Li in die Höhe gehoben – Josef nahm sie auf den Rücken.
Li hielt ihn mit einer Hand um den Hals, in der anderen Hand hielt sie den Käfig mit dem Papagei und kam sich plötzlich überhaupt nicht mehr wie ein Überbleibsel vor, sie fühlte sich wie eine Prinzessin aus der Trinh-Dynastie, die auf dem Elefanten, also auf Josef ritt.
Sie genoss die Reise in vollen Zügen, während Josef alle Hände voll zu tun hatte, dass seine Beine unter der wertvollen Ladung nicht einknickten. Und als es fast schon schien, dass er zu Boden gehen würde, fiel ihm ein, dass eigentlich noch gar nichts verloren war, und wenn es schon nicht beim Alten bleiben konnte, dann könnte ja etwas Neues kommen.
»Willst du nicht mit mir als Nikolaus gehen?«, fragte Josef und gleich strömte neue Energie durch seinen Körper. So konnte er das Gleichgewicht halten und fiel nicht hin. Von oben kam allerdings keine Antwort.
»Hörst du, Li, willst du mit mir als Nikolaus gehen?«, wiederholte er seine Frage, aber Li sagte immer noch nichts.
»Als Ni-ko-laus ge-hen, verstehst du?«, buchstabierte Josef deutlicher und fing an, die Geduld zu verlieren.
»Als Niko-Laus gehen?«, brachte Li endlich hervor und sprang herunter – sie waren schon vor dem Haus.
Nun hatte sie wirklich genug. Wie stellte sich dieser Josef das vor? Zuerst ließ er sie ganz alleine in der Garderobe zurück, half ihr nicht beim Schuhesuchen, und jetzt sprach er mit ihr, als ob sie völlig gaga wäre! »Nur damit du es weißt, ich für dich nicht die Laus spiele! Mach doch selbst die Laus!«, sagte sie und machte auf dem Absatz kehrt, also eigentlich auf der vermatschten Strumpfhose, und trat stolz wie die Prinzessin aus der Trinh-Dynastie in die Lustige Teh Cann .
Weder Vendula noch Bára wollten mit Josef als Nikolaus gehen. Sie saßen in der Küche und halfen Marta, aus Reisig, getrockneten Zitronenscheiben und verschiedenen bunten Schleifchen Adventskränze zu basteln.
Das Herz und der Brief des unbekannten Verehrers erfüllten Marta so sehr, dass sie gleich eine Idee hatte, wie sie sich in der Adventszeit etwas dazuverdienen konnte.
Nur Frau Kličková und vielleicht die Schildkröte wären mit Josef als Nikolaus gegangen, aber das wollte er wiederum nicht. Er wollte nicht, dass jemand mit ihm nur aus Mitleid ging. Langsam wurde es dunkel, Schnee wirbelte durch die Luft, in den Häusern gingen nach und nach die Lichter an und von der Straße hörte man bis in die Wohnung der Kličkas das Rasseln von Ketten.
Und Josef schaute aus dem Fenster. Sein Kinn fing bereits an zu zittern und seine Augen glänzten, als ob er mindestens zwei Kilo Zwiebeln geschnitten hätte, weil draußen alle Jungs schon längst herumliefen. Und nur er saß zu Hause, blickte zum Fenster hinaus und hatte ein völlig verdorbenes Nikolausfest.
Aber dann läutete jemand an der Tür und Frau Kličková rief Josef aus der Küche zu, er solle aufmachen. Und als Josef widerwillig die Tür öffnete, erstarrte er wie vom Donner gerührt und machte große Augen.
An der Schwelle stand nämlich ein Engel. Der schönste Engel, den Josef je gesehen hatte. Und der Engel lächelte ihn an und sagte: »Und nun? Wirst du mit mir als Nikolaus gehe?«
Das war Li, die in der Zwischenzeit von Frau Háková erfahren hatte, dass es gar kein Läuse-Spiel gab, aber den Nikolaus.
Und an diesem Tag war man ausgesprochen nett zu den Kindern, schenkte
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