Josef und Li: Roman (German Edition)
ihnen Schokolade, Kartoffeln und Heizkohle. Aber sie selbst würde ihnen eher ein paar auf den Hintern geben. Und dass der Engel einen weißen Schleier tragen müsse, einen goldenen Stern auf der Stirn und auf dem Rücken Flügel.
Und so zog Li rasch die weiße Gardine vom Fenster und warf sie sich über, Herr Nguyen opferte ein Kissen und klebte die daraus hervorquellenden Federn auf zwei Pappdeckel, die er in Form von Flügeln ausgeschnitten hatte, und Frau Nguyen malte ihr einen goldenen Stern auf die Stirn.
»Ich hab’s gleich«, sagte Josef, als er nach dieser Überraschung wieder zu sich kam. Und in kürzester Zeit hatte er sich in einen Krampus verwandelt.
Es war schon ganz dunkel, der Schnee wirbelte immer noch durch die Luft und Josef und Li wirbelten durch die Straßen. Vor allem Li wirbelte, ja sie flog fast. Sie schwang ein paarmal mit ihren Flügeln und hatte das Gefühl, sie würde sich tatsächlich erheben und ein paar Meter fliegen.
Ihre neue Rolle gefiel ihr: so mit Josef durch die Straßen zu wirbeln und an die Leute in kleine Stücke geschnittene Gummischlangen zu verteilen, die sie von Herrn Bílek bekommen hatten. Doch dann winkte sie eine Frau heran, die zwei ungezogene Jungen hinter sich herzog.
»Seht ihr?! Jetzt holt euch der Krampus!«, sagte die Frau und freute sich, als die ungezogenen Jungen vor Schreck ganz grün im Gesicht wurden und sich an ihren Rock drückten, weil sie sahen, wie Josef, also der Krampus, immer näher kam.
»Ich hab’s euch ja gesagt, aber ihr wolltet ja nicht hören! Immer nur raufen, mir die Zunge rausstrecken und Legosteine durch die Gegend schmeißen!«, fuhr die Frau fort und sah Josef durchdringend an. Und der schaute noch düsterer drein, rollte noch mehr mit den Augen und brummte mit verstellter Stimme: »Brrr! Das sind also die Bengel! Ob ich noch ein Plätzchen für sie habe?«, sagte Josef und klopfte auf den Sack auf seinem Rücken, aus dem Beine herausguckten – in Wirklichkeit war es Vendulas ausgestopfte Strumpfhose –, und wollte nach den ungezogenen Jungen greifen, die erschrocken zurückwichen. Das blanke Entsetzen stand ihnen ins Gesicht geschrieben, und Li konnte es nicht länger mitansehen. Sie schob Josef beiseite und rief: »Finge weg, Krampus! Ich dir nicht Kind gebe!«
Josef aber ließ sich nicht beirren und brummte weiter, rasselte mit der Kette und griff nach den unartigen Kindern, die aber auch schon nicht mehr so unartig waren. Und so beugte sich Li zu ihnen herunter und breitete die Arme aus, als ob sie um die Kinder eine unbezwingbare Mauer errichten wollte.
»Die Kind sein brav, gelle? Bruder gut zu Bruder, Zunge bleibe im Mund und Lego in Kiste?«, fragte sie die erschrockenen Jungen, die jedes Wort wiederholten, als ob Li in einer wahrhaftigen Engelssprache gesprochen hätten: »Ja, Bruder gut zu Bruder, Zunge bleibe im Mund und Lego in Kiste!«
Josef hätte noch gerne länger Rabatz gemacht, hätte gern weiter gebrummt und gerasselt, aber da taten auch der strengen Frau die Jungen leid und sie drückte Josef unauffällig etwas in die Hand.
»Schau mal, was wir bekommen haben!«, freute sich Josef,
als er die Hand öffnete und in der Handfläche ein Zwanzig-Kronen-Stück sah. »Wir kaufen Tuong dafür ein Geschenk! Und sagen, es ist von der Hydra! Oder Würstchen!« Aber Li schien überhaupt nicht angetan zu sein und sagte kühl: »Ihr sehr komische Tradition in Tschechische Republik! Arme Kind!«
Josef wollte darauf etwas sagen, sagte es aber nicht, denn im gleichen Augenblick wurden die beiden von vier Gestalten umringt: zwei Engel, einem Krampus und einem Nikolaus.
»Was macht ihr denn hier? Das hier ist unser Revier, also verschwindet gefälligst!«, sagte der Nikolaus, aber weil er einen angekauten Vollbart trug, war gleich klar, dass es sich eigentlich um Máchal handeln musste, der seinen Vollbart mit Zuckerwatte verwechselt hatte. Diesmal wollte Josef vor Li nicht bloßgestellt werden, und so holte er aus, bereit zum Kampf.
»Wartet doch, Jungs! Ihr werdet euch doch am Nikolaustag nicht prügeln!«, trat der Engel, also Helena, dazwischen, und Josef dachte, ein Wunder sei geschehen.
»Ich hab sogar ein Geschenk für euch!«, sagte Helena mit einem Engelslächeln und zog ein längliches Päckchen aus ihrem geflochtenen Korb. »Ich denke, das ist für dich, Li! Sagst du uns ein Gedicht auf?« Doch Li schwieg eisern.
»Na, na, Li, kannst du nicht sprechen? Sie geniert sich ein wenig! Na gut, ich geb’s dir
Weitere Kostenlose Bücher