Josefibichl
war Schneiders Fünfer-BMW den steilen Kreuzweg mit den zehn Stationskapellen, der vom Kloster hinab ins alte Partenkirchen führte, hinuntergekrochen. Ab dem Antoniusbrunnen gab Schneider wieder Vollgas und setzte seine Kollegin beim Garmisch-Partenkirchner Tagblatt im anderen Ortsteil ab.
Die Wegweisung seines Navigationssystems ergänzte Schneider gern mit seinem Hang zur direkten Linie. So ging es vom Tagblatt in der Alpspitzstraße unter Missachtung des Durchfahrtsverbots, das in der Fußgängerzone herrschte, direkt durch Garmisch. Schneider besah sich im Vorbeifahren städtebauliche Abscheulichkeiten, die er an einem so pittoresk von Bergen umrahmten Ort nicht für möglich gehalten hätte. Weiter ging es an Tankstellen, Sportoutlets und Autohäusern vorbei, die die Ein – und Ausfallstraße des Olympiaortes säumten, direkt auf den Parkplatz der Polizeistation.
Schneider klickte den Fünfer zu und befand sich wenige Augenblicke später im großen Besprechungsraum der Polizeiinspektion, um eine verspätete morgendliche Lagebesprechung abzuhalten.
Bernd Schneider hatte erwartet, dass die uniformierten Kollegen der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen nach den Schludrigkeiten des vergangen Tages an diesem Morgen ein wenig mehr auf Zack waren. Doch als er den Besprechungsraum betrat, war er überrascht. Jemand hatte all seine Erinnerungen an Fernsehkrimis zusammengekratzt und sämtliches vorliegende Material sauber an der Längswand aufgepinnt. Fotos der Leiche vom Fundort. Archivfotos vom Franziskanerkloster St. Anton, wohl aus dem Internet ausgedruckt. Hochgezogene alte Fotos von Hartinger, dessen Vita in kurzen Stichworten auf einem Flipchart direkt daneben notiert war. Auch Material, das Schneider noch nicht kannte, hing dort: die erste Berichterstattung des auflagenstarken Boulevardblattes mit den dicken Buchstaben und die aus sueddeutsche.de.
Ludwig Bernbacher stand vor der Wand und wirkte ziemlich geschäftig. Scheinbar hatte er gerade eine wichtige Querverbindung entdeckt, die er mit blauem Edding markierte. Auch wenn er sich im tiefsten Innern nicht vorstellen konnte, dass der Hartinger Gonzo einen umgebracht haben sollte – musste er als Profi nicht sein Bauchgefühl abstellen und sich Stattdessen an den Fakten orientieren? Klar, den Hartinger zu fassen und seine Geschichte auf Herz und Nieren zu überprüfen war jetzt erste Polizistenpflicht.
Bernd Schneider riss den Garmischer Oberpolizisten aus seinen Gedanken. »Moin, Herr Bernbacher. Was gibt‘s Neues?«
»Wir konzentrieren uns auf den flüchtigen Karl-Heinz Hartinger. Der muss gestern Abend wohl Kontakt zu einem seiner alten Kollegen aufgenommen haben. Schauen Sie, ein Artikel ist in der Onlineausgabe der Süddeutschen erschienen, den sonst keine andere Zeitung und keine Nachrichtenagentur – ich habe das persönlich überprüft – in der Detailgenauigkeit zu bieten hat.«
Auf das mit der Nachrichtenagentur war Bernbacher besonders stolz. Er hatte sich seiner Zusatzausbildung »Pressearbeit und PR« bei der bayerischen Landespolizei erinnert, bei der aufstrebenden Lokalpolizisten, die in ihren PIs den Nebenjob des Pressesprechers innehatten, die Grundzüge des Journalismus vermittelt wurden. Bernbacher war vor seiner Beförderung zum Polizeiinspektionsleiter über fünf Jahre lang Sprecher der Polizeiinspektion Garmisch-Partenkirchen gewesen. Er war also auf diesem Gebiet so etwas wie ein Profi.
Bernd Schneider überflog den Aufmacher der Boulevardzeitung. Die Herrschaften mit den dicken Buchstaben hatten augenscheinlich auf eigene Faust recherchiert und mussten sich hier irgendwo in Garmisch-Partenkirchen eingenistet haben. Bei allem Abscheu, den Schneider einer vorschnellen Verurteilung und der Hatz auf einen vermeintlichen Täter entgegenbrachte: Wenigstens recherchierten diese Leute noch selbst und überließen nicht Dauerpraktikanten das Abschreiben von Agenturmeldungen, wie das in vielen Zeitungsredaktionen längst der Fall war.
Tatsächlich zeigte der Artikel aus sueddeutsche.de, der auf dem fahlbraunen Behörden-Umweltpapier ausgedruckt an der Wand hing, ein Detailwissen, das nur jemand besitzen konnte, der den Tatort aus eigener Anschauung kannte. Der Schluss Bernbachers, der Zeuge und Verdächtige Karl-Heinz Hartinger habe einem Exkollegen die Story brühheiß eingegossen, lag nahe. Aber war dieser Hartinger nicht zu schlau, sein Handy einzuschalten, um eine Viertelstunde lang seinen Bericht zu übermitteln? Schneider
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