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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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möglichen Konsorten in den einschlägigen Lokalen zusammengesessen, in den glamourösen und in den schäbigen. Hatte zwei Ehen dabei ruiniert und etliche seiner Hirn – und Leberzellen dadurch unwiederbringlich verloren.
    Verloren? Investiert hatte er sie. Seine Gesundheit. Seine Zeit. Sein Privatleben. Investiert in Geschichten, die die Leser interessierten. Geschichten, die aus gelegentlichen Zeitungskäufern Abonnenten machten. Und die Zeitung berühmt gemacht hatten.
    Solche Geschichten fand man aber nicht online, davon war er überzeugt. Die erschienen nicht einfach so auf einem Bildschirm im Newsroom. Die musste man erarbeiten. Erfühlen. Erleben.
    Das war Weißhaupts Meinung und Einstellung dazu. Gute alte Zeit. Sie war vorbei und würde niemals wiederkommen . . .
    All das ging ihm einmal mehr durch den Kopf, als er den Raum betrat.
    Der diensthabende Redakteur erhob sich von seinem Tisch und trat auf ihn zu. »Grüß Gott, Herr Weißhaupt, was führt Sie zu uns?«, begrüßte er den Pensionär und Berater der Chefredaktion.
    Der nahm den früh ergrauten Exkollegen beiseite und zog ihn an der Verlagszugangskarte, die an einer ausziehbaren Schur an dessen hellbraunem Gürtel clippte, wie einen ungezogenen jungen Dackel wortlos nach draußen auf den Gang.
    Als sich die Tür zum Newsroom selbstständig geschlossen und Weißhaupt mit zwei kurzen Blicken den Gang nach oben und unten gesichert hatte, näherte er sich mit dem Gesicht bis auf zehn Zentimeter dem Ohr des Kollegen. »Herr Pfeiffer. Ich bereite eine große Geschichte vor. Ich habe den ersten Teil davon heute Nacht ins Redaktionssystem geschrieben, und er wurde prompt auf der Onlineseite veröffentlicht. Das ist gut so, und ich möchte, dass es so bleibt.«
    »Mir ist der Artikel schon aufgefallen. Irgendein Kürzel, das ich nicht kenne.«
    »Wichtig ist doch nur, was drinsteht.«
    »Ich wäre gar nicht auf die Idee gekommen, dass jemand, der nicht die Berechtigung dazu hat, im Redaktionssystem der Süddeutschen einen Artikel hinterlassen kann«, erklärte Pfeiffer. »Also habe ich den Artikel zu Beginn meiner Schicht freigegeben. Irgendeine Mönchsleiche in Garmisch. Ganz anständig geschrieben und zudem noch fehlerfrei getippt.«
    Als Norbert Pfeiffer dann aber nachdachte, wer da nächtens Nachrichten ins System hackte, war er doch erstaunt.
    »Sie? Ins Redaktionssystem geschrieben? Und wieso machen Sie das?« Pfeiffer kam die Sache ziemlich seltsam vor.
    Weißhaupt versuchte, die Geschichte möglichst harmlos erscheinen zu lassen. »Ja, ich, lieber Herr Pfeiffer. Warum denn nicht? Bin ja immer noch Berater der Chefredaktion. Als solcher darf ich doch eine Geschichte vorlegen. Selbst recherchiert.«
    »Aber das ist doch gar nicht Ihr Metier, Herr Weißhaupt. Garmisch-Partenkirchen. Nachts. Online. Und überhaupt: selbst getippt.« Der alte Weißhaupt hatte doch in seinem Journalistenleben mehr Sekretärinnen verschlissen als ein cholerischer Bankenvorstand und dabei erwartet, dass sie zu jeder Tages – und Nachtzeit für ein Diktat zu Verfügung standen.
    Weißhaupt musste sich etwas einfallen lassen. »Wissen Sie, lieber Herr Pfeiffer, ich bin eigentlich ein gebrochener Mann«, begann er. Er wußte nicht, ob er zu dick auftrug, aber er ging einfach zunächst mal weiter in die Richtung, in die ihn seine im Stegreif erfundene Geschichte führte. »Ich habe alles in meinem Leben erreicht, was man als einfacher Bub aus der Au erreichen kann. Und doch geht mir das Allerwichtigste ab.«
    Norbert Pfeiffer sah den bärtigen Exlokalchef nur fragend an. Der setzte einen Blick auf, der eine Fünfzehn-Tonnen-Rolle staubtrockenes finnisches Zeitungspapier zum Weinen gebracht hätte.
    »Alles erreicht und doch nichts.« Weishaupt drückte weiter auf die Tränendrüse.
    Pfeiffer wusste nicht, was er tun sollte. War Weißhaupt in so kurzer Zeit senil geworden?
    Der kam endlich zum Kern seines Leidens. Gerade erst war es ihm eingefallen. »Noch nie in meinem Leben habe ich einen Journalistenpreis gewonnen.«
    »Ich auch nicht«, versuchte ihn Pfeiffer zu beruhigen. Vergeblich.
    »Wahnsinn, oder? Ich habe hier diese Zeitung gemacht – zumindest den wichtigsten Teil, das Lokale. So wie Sie.«
    »Das ist richtig. Und Sie haben es sehr gut gemacht.« Man musste Verrückten immer recht geben, das hatte Pfeiffer noch öfter geschrieben als gelesen.
    »Knapp vierzig Jahre lang habe ich das gemacht. Aber – zur Hölle! – keinen einzigen Preis hab ich bekommen. Ich habe

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