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Josefibichl

Josefibichl

Titel: Josefibichl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marc Ritter
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hatte von der Geschichte Garmisch-Partenkirchens nicht mehr Ahnung als die meisten Einheimischen, und deren innere Geschichtsschreibung begann 1936 bei den Olympischen Spielen, setzte dann für neun Jahre aus und begann wieder 1945, um bei den großen Zeiten des Orts, den Fünfzigern, als Errol Flynn hier gastierte, zu verweilen. Glorreiche Zeiten hatte es auch in den Sechzigern und Siebzigern des zwanzigsten Jahrhunderts gegeben, etwa die Ski-WM 1978 oder die letzte Deutsche Eishockey-Meisterschaft des SC Riessersee, auch wenn die erst 1981 gewesen war.
    Albert Frey sah seinen ehemaligen Schüler lange an. Die buschigen weißen Augenbrauen und der sauber rasierte Henriquatre verliehen dem alten Lehrer etwas Kauziges. Dann stand er vom Bett auf und stellte sich vor Hartinger hin. Nicht, dass er den immer noch Sitzenden wesentlich überragt hätte. Schüler mit seiner körperlichen Erscheinung einzuschüchtern war aufgrund mangelnder Voraussetzungen nie seine Art gewesen. Er hatte aber mit seinem durchdringenden Blick und der Kunst, zwanzig Sekunden lang nichts zu sagen, Schüler auf ihren Stühlen festnageln können, indem er sich vor ihnen aufbaute und so etwas wie eine feierliche Atmosphäre herstellte, bevor er ihnen die Leviten las. Diesen Trick wandte er wieder bei seinem alten Schüler Hartinger an.
    »Karl-Heinz Hartinger, du verdienst es nicht. Das weißt du. Du hast Kummer über meine Nichte Katharina gebracht. Du bist ein schlechter Vater und ein Nichtsnutz.«
    Hartinger sank in sich zusammen und starrte nur noch auf die Hirschhornknöpfe der hellen Schafwollweste, die Albert Frey immer – auch in der Bullenhitze auf dem Dachboden – über seinen kleinkarierten Hemden trug. Wenn Frey ihn mit diesen Tausenden von Dokumenten alleinließ, brauchte er Tage und Wochen, um das zu finden, von dem er noch gar nicht wusste, was es sein würde. Frey hingegen konnte mit wenigen Blicken das Überflüssige vom Nützlichen trennen, und sie würden bald – vielleicht schon morgen früh – eine heiße Spur haben. So zumindest hoffte Hartinger.
    »Aber«, Albert Frey wurde feierlich wie bei der Übergabe des Abiturzeugnisses an den Jahrgangsbesten, »ich helfe dir. Ich helfe dir wegen der Kathi und dem Anton. Und, das will ich nicht verheimlichen, weil ich mir Wissenszuwachs in meiner ureigenen Domäne, der Geschichtsschreibung des Ortes Garmisch-Partenkirchen, davon erhoffe. Einzig und allein deshalb, weil. . .«
    »Dass ihr Mannsbilder immer so ein Trara machen müssts, auch wenn‘s pressiert!«, unterbrach Kathi die Ansprache ihres Onkels. Sie stand auf einmal mitten auf dem Dachboden neben dem unverputzten Kamin, in den Händen ein großes Tablett, darauf zwei dampfende Teller Kässpatzen und zwei frisch eingeschenkte Karg-Hefeweißbier.
    Die beiden Männer hatten sie nicht die Stiege heraufkommen gehört. Sie drehten sich zur Hausherrin um und schenkten ihr einen dankbaren Blick. »Stell‘s nur gleich daher«, wies Onkel Albert sie an und zog das antiquierte Nachtkastl in die Mitte der rechten Bettseite, wo er neben Hartinger wieder Platz nahm.
    Kathi stellte das Tablett ab und sah sich das seltsame Paar vor ihr an. »Mei, ihr Männer! Aufs Messer zerstritten, und wenn‘s gemeinsam auf die Jagd geht, ein Herz und eine Seele«, bemerkte sie kopfschüttelnd. »Gegrüßet seist du, Steinzeit!«
    Es ging auf die Zehn, und die Diskussion am Bürgermeisterstammtisch im Gasthof Zum Rassen hielt an. Mittlerweile waren die Touristen und die wenigen Einheimischen, die die Wirtsstube bevölkert hatten, gegangen und die wichtigen Männer am langen Tisch neben dem fahlgrün gekachelten Ofen unter sich. Aufgebracht hatten sie den Mordfall diskutiert. Vom Bernbacher, der vom Bürgermeister nach der Geheimbesprechung im Festsaal wegen der dringenden Ermittlungsarbeit entschuldigt worden war, wurde allgemein erwartet, dass er die Sache mit dem toten Mönch so bald und so imageschonend wie irgend möglich über die Bühne bekäme. Das konnten sie wirklich nicht brauchen, wo doch die Olympiabewerbung sowieso schon schlecht lief. »Holprig«, so hatte der Chef der Raiffeisenbank die Situation bezeichnet.
    Der Skiclubpräsident war kaum noch zu halten gewesen. »Holprig? Was meinst du mit holprig? Mit knietiefen Schlaglöchern ist er durchsetzt, unser Weg nach Olympia 2018, das sag ich euch!«, hatte er die Runde beschworen. »Wie sich die Münchner mit ihrem Bewerbungskomitee da aufführen! Wenn wir so unprofessionell wären,

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