Josefibichl
nicht von einer Geschichte von vorgestern kaputt machen lassen, auch nicht, wenn die von einem edlen Mönch aufgedeckt wurde.«
»Wenn der so edel war.« Albert Frey hatte Hartingers Gedanken bereits zu Ende gedacht, während der sich die Sache noch zusammenreimte. »Denn überleg dir mal, warum er getötet wurde. Der Max Huber – wenn er’s denn war – muss ja gewusst haben, dass der Pater auf die Geschichte gestoßen ist. Aber warum sollte es gefährlich für den Max Huber sein, wenn jemand weiß, dass sein Großvater das Grundstück auf diese unschöne Weise erworben hat? Rechtlich ist daran ja nicht zu rütteln. Gekauft ist gekauft, und nach achtzig Jahren wird daran niemand etwas ändern können. Außerdem hat der damals enteignete arme Mann wahrscheinlich keine Nachkommen. Wurde ja zwangssterilisiert.«
Hartinger dachte angestrengt nach. »Antwort auf Ihre erste Frage: Ja, Max Huber wusste, oder besser, weiß von Pater Engelberts Wissen über die Grundstücksgeschichte. Wahrscheinlich hat der junge Pater ihn damit konfrontiert.«
»Erpresst?«
»Möglich, aber das spielt zunächst keine Rolle. Bleiben wir dabei, Max Huber hat erfahren, dass da einer die Unterlagen besitzt, die seit achtzig Jahren unter Verschluss waren, und zwar im Marktarchiv, also nur drei Büros von seiner Arbeitsstätte entfernt. Und diese Papiere beweisen, dass seine Familie auf schmutzige Weise Land erworben hat. Führt uns zum zweiten Teil Ihrer Frage. Antwort: Ja, das war für ihn gefährlich. Denn es wäre für einen angesehenen Mann im Ort nicht gerade von Vorteil, wenn sich das rumspricht.«
»O mei, da gibt es andere. . .«, warf Albert Frey ein. »Im ersten Jahr seit Einführung des Erbkrankenverzeichnisses 33 sind über dreißig Menschen in Garmisch-Partenkirchen › behandelt ‹ worden. Und dann im November 38: Aus Garmisch-Partenkirchen wurden in der sogenannten Reichskristallnacht vierundvierzig jüdische Personen vertrieben. Glaubst du nicht auch, dass sich da einige der wahrhaft Deutschen an deren Eigentum schadlos gehalten haben?«
»So wie anderswo auch.«
»So wie anderswo auch. Nur, dass hier im Ort das nie ein Thema war. Die Leute wollten es nie und wollen es nicht wissen. Bis heute nicht. Der Max Huber hätte da nicht viel Ehrverlust zu befürchten gehabt, fürchte ich.«
»Also hat er etwas anderes gefürchtet. Klar. Wenn auf dem Grundstück das olympische Dorf entstehen soll, dann ist so ein Hintergrund nicht gerade passend. Gerade nicht in einem Ort, wo von einem Herrn Hitler schon einmal Olympische Spiele eröffnet wurden.« Hartinger konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich die Weltpresse auf diese Geschichte stürzen würde. »Das kann durchaus dazu führen, dass die bisherigen Baupläne weggeschmissen werden und alles neu geplant wird. Also muss Max Huber verhindern, dass die Wahrheit ans Licht der Öffentlichkeit kommt. Er versucht an die alten Unterlagen im Marktarchiv zu gelangen. Er arbeitet ja da, es ist sogar seine eigene Behörde. Im Archiv erfährt er, dass schon einer das Material gesichtet hat. Der Mönch. Also stellt er ihm nach. Und bringt ihn schließlich um. Und hofft, dass niemand auf die Unterlagen stößt oder die Zusammenhänge darin erkennt.«
Albert Frey zollte seinem Schüler Respekt. »Bravo, Karl-Heinz Hartinger. Fall gelöst. Kurz nach vier Uhr morgens.«
»Wenn‘s so einfach wär. Das muss man erst mal alles beweisen. Ich bin leider auch nicht ganz glaubwürdig in dieser Sache. Sie erinnern sich: Ich bin der derzeitige Hauptverdächtige. Sie suchen mich mit allen Mitteln.«
»Na ja, bisher sind diese Mittel wirkungslos gewesen«, beruhigte ihn Frey.
Kurz vor vier Uhr morgens hielt es Gabriele Hochstetter nicht mehr aus. Die ganze Nacht hatte sie nicht geschlafen. Sie hatte seit dem Besuch der Reporter am Abend gegrübelt, welche ihrer Freundinnen ihr vor einigen Jahren erzählt hatte, dass der Hartinger Gonzo einer aus der Gegend ein Kind angehängt hatte. Sie stand auf, schlich aus dem Schlafzimmer und an den Kinderzimmern vorbei, um Mann und Nachwuchs nicht aufzuwecken, setzte sich in den Ohrenbackensessel im Wohnzimmer neben den Kachelofen und griff zu ihrem Strickzeug. Jetzt, im Juli, war die Zeit, in der man die Weihnachtsgeschenke anzufangen hatte. Beide ihrer Söhne brauchten im Winter neue Janker. Und beim Stricken gingen ihr immer so viele Erinnerungen durch den Kopf, vielleicht erwachte dabei der Teil ihres Gedächtnisses, in dem die gesuchte Information
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