Josefibichl
abgespeichert war.
Sieben links gestrickte Reihen später war es tatsächlich so weit: die Hohensteiner Vroni! Die hatte es ihr vor vielen Jahren – zehn? zwölf? – verraten. Unter dem absoluten Siegel der Verschwiegenheit.
Nun stieg auch der ganze Rest aus dem Gedächtnis hoch: Die Cousine der Hohensteiner Vroni, die Mitterer Kathi von Graseck, war die Unglückliche gewesen. Bei einem feuchtfröhlichen Ausklang eines Hausfrauen-Skikurses hatte es die Vroni nicht mehr für sich behalten können.
Gabriele Hochstetter, die nie die Leidenschaft für Klatsch und Tratsch geteilt hatte, hatte die Geschichte nicht für wirklich interessant gehalten und praktisch sofort vergessen. So viele geschiedene und einschichtig gebliebene oder wieder verheiratete Männer, so viele ledige und verlassene Frauen und so viele leibliche und unleibliche Kinder gab es im Ort, da konnte man sich nicht alle Schicksale merken.
Und nun? Der Mann von der Zeitung wartete auf den Namen. Er würde morgen früh sicher keine Ruhe geben. Und den Hartinger suchten sie ja derzeit wegen dem Mord an dem armen Mönch, und soweit sie wusste, hatten sie den noch nicht. Zumindest hatte Radio Oberland am Abend vor dem Zubettgehen keine anderslautende Meldung gesendet.
Sie musste das öffentlich machen. Man konnte den Hartinger ja nicht herumlaufen lassen. Vielleicht drehte der völlig durch und tat auch der Kathi etwas an. Falls er da oben war. Oder – ein Schauer lief Gabriele Hochstetter über den Rücken, denn sie dachte an ihren gleichaltrigen Luis – er tat dem Buben, dem Anton, etwas an!
Mei, der Kathi ihr Anton, vom Hartinger Gonzo war der also. Und sie hatte es die ganze Zeit gewusst und nie drüber nachgedacht. Aber die Kathi sah man ja auch nur alle heiligen Zeiten herunten im Ort, die hielt sich ja oben in ihrem Berghof versteckt wie ein Burgfräulein. Na ja, jetzt wusste die Gabriele Hochstetter ja auch wieder, warum . . .
Sie dachte noch drei links gestrickte Reihen weiter. Dann ging sie zu ihrem kleinen Bauernsekretär mit den selbst bemalten Türchen. Hinter der rechten Tür befand sich eine Schublade, und in der hatte sie die Karte des Reporters verschwinden lassen. Ihr Mann brauchte ja nicht zu wissen, dass sie so einen spannenden Besuch gehabt hatte. Der hätte nur wieder Fragen gestellt.
Sie nahm die Karte mit dem roten Zeitungslogo und betrachtete sie lange. Schließlich fasste sie einen Entschluss. Im Flur nahm sie ihr Handy aus der Handtasche und wählte die Mobilnummer des Reporters. Es war Viertel nach vier, aber so ein Zeitungsmann war doch immer im Dienst. Würde sie bis morgen früh warten, könnte sie auch die restlichen wenigen Nachtstunden kein Auge zutun. Außerdem wusste man ja nicht, was der gspinnerte Hartinger gerade machte da draußen.
Sie ließ es fünfmal klingeln. Nichts passierte. Gerade wollte sie auf den roten Knopf ihres Handys drücken, da drückte Lex Peininger den grünen Knopf auf seinem.
Abt Gregorius war natürlich nicht um die Häuser gezogen, wie es sich Bernd Schneider ausgemalt hatte, als er ihn am späten Abend nicht im Kloster St. Anton angetroffen hatte. Obwohl – er war es eigentlich schon, aber in einem anderen Sinne, nämlich um die Häuser der Vergangenheit, durch die Ortschaft namens Vergessen.
Er hatte bis in die späte Nacht einige Vertrauensleute aufgesucht. Wie jede mächtige Organisation hatte auch die katholische Kirche ihr Netz von Informanten und Zuträgern. Unter der offiziellen Struktur mit Geistlichen, Laien und Gemeinde gab es noch eine inoffizielle, und das galt für alle viertausend katholischen Gemeinden in Bayern. In manchen war dieses Netz sehr viel enger und fester geknüpft als das an der Oberfläche, und so war es auch in dem zweitausend Jahre alten Partenkirchen.
Gegen drei Uhr früh hatte der Abt die Informationen, die er brauchte. Einer seiner Informanten hatte ihm auch von der Vaterschaft Hartingers berichtet, und Abt Gregorius wusste aus den vielen Jahrzehnten der Seelsorge und aus Tausenden von Einzelschicksalen, dass Familienbande in Krisenzeiten immer stärker hielten als alle anderen Rettungsschnüre. So konnte er sich denken, wo sich der Hartinger wahrscheinlich verstecken würde. Und er ahnte, dass er dort in großer Gefahr war.
Nach seinem letzten Informantengespräch nahm Abt Gregorius seinen langen handgeschnitzten Pilgerstock mit der Eisenspitze, den ihm der Partenkirchner Schäferverein zum Fünfundsiebzigsten geschenkt hatte, fest in die rechte
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