Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
Vom Netzwerk:
er Interviews geben. In Bombay war er in der Windsor Villa aufgewachsen, die zum Westfield Estate gehörte. Angesichts dieses Zufalls musste er lächeln. Lange Stunden voller Interviews folgten, und die Journalisten fanden die abenteuerlichen Umstände ziemlich aufregend und spannend. Man hatte sie von Sicherheitskräften an diesen Ort bringen lassen, ohne ihnen vorher zu sagen, wohin die Fahrt ging. Fantastisch! Meist interessierten sich die Medien nur für die Fatwa. Allein Esther B. Fein von The New York Times wollte tatsächlich über seine Arbeit reden und wissen, wie es ihm gelang, unter diesen außergewöhnlichen Umständen zu schreiben.
    Scott Armstrong, stämmige Figur, ganz geschäftsmäßig, jeder Zoll der Washington-Insider, hatte schlechte Neuigkeiten: Das für den nächsten Tag geplante Treffen mit den Kongressabgeordneten war, laut seinen Informationen, aufgrund eines Einspruchs von Außenminister James Baker höchstpersönlich abgesagt worden. Warum tat Baker das? Die Antwort auf diese Frage wurde in den folgenden Tagen klarer, als die Bush-Regierung sämtliche Bitten um ein Treffen abschlägig beschied und sich weigerte, ein Statement abzugeben. Martin Fitzwater, Pressesprecher des Weißen Hauses, sagte: »Er ist doch bloß ein Autor auf Lesereise.«
    Andrew platzte der Kragen, und er warf Scott vor, sie hereingelegt zu haben. Stimmen wurden laut. Scott war wütend auf Andrew, schlug aber zu Recht vor, dass sie ihren Ärger vergessen und sich lieber fragen sollten, was noch zu retten war. Sie aßen mit Mike Wallace und einigen weiteren Journalisten zu Abend. Hier, im Vertrauen, aber auch, um die Sympathie dieser hehren Schar zu gewinnen, wurde über die eigentliche Bedeutung des Konsortiums geredet, über die Feindseligkeit des US-Regierungsapparats sowie darüber, dass die Briten den Personenschutz einstellen wollten.
    *
    Es wurde Zeit für seine Rede. Er trug einen burgunderfarbenen Leinenanzug, der längst ziemlich zerknittert aussah, doch blieb keine Zeit, sich umzuziehen. Er wirkte bestimmt wie ein schusseliger Professor, aber vermutlich war das okay. Er machte sich eher Sorgen um seine Worte als um sein Aussehen. Die Sprache politischer Reden war ihm fremd. Er glaubte daran, Sprache bis an ihre Grenzen zu treiben, auf dass sie so viel bedeutete, wie er sie nur bedeuten lassen konnte, daran, nicht nur die Worte, sondern auch ihre Musik zu hören; jetzt aber wollte man, dass er geradeheraus redete. Sag, was du wirklich meinst , hatte man ihm geraten, erkläre dich, rechtfertige dich, ver steck dich nicht hinter deiner Romanprosa . Kam es darauf an, ob ein Schriftsteller derart entblößt wurde, ob er um den Reichtum seiner Sprache gebracht wurde? Ja, darauf kam es an, denn Schönheit schlägt tief im menschlichen Herzen eine Saite an, sie öffnet Türen in unserem Kopf. Schönheit ist wichtig, weil Schönheit Freude bedeutet, und Freude war der Grund, warum er tat, was er tat, seine Freude an Worten und daran, mit ihnen Geschichten zu erzählen, Welten zu schaffen, zu singen. Im Augenblick aber hielt man Schönheit für einen Luxus, auf den er verzichten sollte, für einen Luxus, eine Lüge. Hässlichkeit war Wahrheit.
    Er gab sein Bestes. Er bat die Amerikaner um Unterstützung und Hilfe, bat Amerika darum, sich als ›wahrer Freund der Freiheit‹ zu erweisen, und sprach nicht nur von der Freiheit zu schreiben und zu publizieren, sondern auch von der Freiheit zu lesen. Er schil derte seine Angst, dass die Briten bereit waren, ihn seinem Schicksal zu überlassen. Dann verkündete er, dass es nach Überwindung vieler Hindernisse nun endlich gelungen war, eine Taschenbuchausgabe von Die satanischen Verse herauszubringen, und er hielt ein Exemplar des Buches in die Höhe. Es war keine besonders schöne Ausgabe, das Cover in grässlichem Gold mit dicker schwarzer und roter Schrift, die ein wenig zu sehr nach Nazi-Typografie aussah. Doch es existierte, und das fühlte sich gut an. Dreieinhalb Jahre nach Erscheinen des Romans war es ihm gelungen, den Publikationsprozess zu Ende zu bringen.
    Im Publikum saßen befreundete Journalisten, darunter Praful Bidwai von The Times of India und Anton Harber, dessen Weekly Mail 1988 versucht hatte, ihn nach Südafrika einzuladen. Doch er durfte nicht bleiben und sich mit ihnen unterhalten. Das Security-Team deutete die Gefahr von Heckenschützen an. Im Gebäude gegenüber gebe es ›Verbindungen nach Libyen‹. Ach ja, Oberst Gaddafi, mein alter Freund , dachte

Weitere Kostenlose Bücher