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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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Konto würde geschlossen, das Geld konfisziert und das Taschengeld so lange gestrichen, bis er mit der Wahrheit herausrückte. Eine halbe Stunde später – wer hatte eigentlich behauptet, Wirtschaftssanktionen funktionierten nicht? – packte Zafar aus. Er hatte das Geld aus der Schreibtischschublade seines Vaters geklaut. Das Dingi, das er sich wünschte, hatte mehr gekostet, als er dachte, 250 statt 150 Pfund, und außerdem waren da noch Sachen, die er an Bord brauchte, darauf zu sparen hätte ewig gedauert, und er wollte das Boot ganz dringend. Er wurde ziemlich hart bestraft – kein Fernsehen, kein Konto mehr, er würde monatlich 30 Pfund von seinen 50 Pfund Taschengeld zurückzahlen müssen, und er durfte das Boot (ein Mirror-Dingi, das er bereits gekauft hatte, wie seine Eltern jetzt herausfanden) erst benutzen, wenn er es ehrlich bezahlt hatte. Clarissa und er hofften, all das würde ihm eine Lehre in Ehrlichkeit sein. Er musste auch lernen, dass seine Eltern ihm blind vertraut hatten und er sich dieses Vertrauen zurückerarbeiten musste. Doch an ihrer unbedingten Liebe musste er nicht zweifeln. Zafar war geschockt und schämte sich schrecklich. Er nahm die Strafe klaglos an.
    Fünf Tage später bemerkte Elizabeth, dass ihr liebstes Schmuckstück, ein goldenes Bettelarmband aus dem Besitz ihrer Mutter, nicht mehr in seinem aus mehreren Schachteln bestehenden Versteck in ihrem Kleiderschrank war. Sonst fehlte nichts. Er bat sie zu suchen, doch sie schien beschlossen zu haben, dass Zafar es genommen hatte. Sie unternahm eine halbherzige, erfolglose Suche. Zafar schlief in seinem Zimmer, und sie bestand darauf, dass er ihn weckte und dazu befragte. Er bat sie, das Haus erst noch einmal auf den Kopf zu stellen, doch sie meinte, sie habe überall nachgeschaut, es sei nicht da. Also musste er sein Kind aus dem Schlaf reißen und ihn mit dieser Anschuldigung konfrontieren, obwohl alles in ihm sich dagegen auf lehnte und ihm sagte, dass sein Junge so etwas nicht tun würde, er wusste noch nicht einmal, wo Elizabeth ihren Schmuck aufbewahrte, es war völlig absurd. Zafar war außer sich und bestritt alles. Und während der Junge in tiefster Nacht hellwach und verzweifelt in seinem Bett lag, fand Elizabeth das Armband, das die ganze Zeit an seinem Platz gewesen war.
    Jetzt schämte er sich vor seinem Sohn, und zwischen Elizabeth und ihm blieb ein Schatten, der sich nur langsam auflöste.
    *
    Sie waren bei Ronnie und Natasha Harwood, um deren fünfunddreißigsten Hochzeitstag zu feiern, und Richter Stephen Tumim, der HM Chief Inspector of Prisons, ein lachender, rotgesichtiger Herr, der gerade auf der Abschussliste der IRA gelandet war, redete über Personenschutz und darüber, was es bedeutete, sein Heim nach dreißig Jahren verlassen zu müssen. Seine Frau Winifred erzählte, sie habe einen Nervenzusammenbruch erlitten. Eine Polizeieskorte habe sie in ihr Haus begleitet, damit sie das Nötigste zusammenpacken konnte, und als sie die gemachten Betten gesehen habe, in denen nie wieder jemand schlafen würde, war ihr, als besichtigte sie einen Leichnam. Sie waren beide am Boden zerstört gewesen, und das Schlimmste war, dass man nicht wusste, wann es endete. »Als hätte man lebenslänglich«, sagte Richter Tumim. »Wenn man nach dem Belieben Ihrer Majestät festgehalten wird, weiß man auch nicht, wie lange man sitzt. Das ist fast genauso.« Stephen und Winifred mussten in den Militärbaracken in der Albany Street unweit des Regent’s Park wohnen, wo er und Elizabeth beinahe auch gelandet wären. Doch für Stephen waren Dinge unternommen worden, die man ihm niemals angeboten hatte. Der Staat hatte den Wert seines Hauses schätzen lassen und es ihm abgekauft, denn, meinte der gute Richter, »Leute, die unter Polizeischutz stehen, finden niemanden, der so blöd ist, ihr Haus zu kaufen«. – »Ich schon«, entgegnete er. « –Ja, meinen Verleger Robert McCrum«, sagte Ronnie Harwood mit einem hämischen Grinsen.
    Tumim war ein wundervoller Erzähler. Bei einem Gefängnisbesuch war er dem berüchtigten Serienkiller Dennis Nilson begegnet und »ein bisschen unruhig« geworden, als der um ein Gespräch unter vier Augen bat. »Doch er wollte nur damit angeben, wie belesen er inzwischen war.« Nilsen wurde geschnappt, weil menschliche Fleischreste und Gedärme seine Abwasserrohre verstopften. Er hatte mindestens fünfzehn Männer und Jungen umgebracht und sich an ihren Leichen vergangen. Auf Tumim hatte Nilsen einen ›sehr

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