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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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unheimlichen‹ Eindruck gemacht, was naheliegend schien. Da sie einige Schutzleute gemeinsam gehabt hatten, konnten sie ein wenig über sie tratschen. »Der perfekte Job, um ein heimliches Verhältnis zu haben«, stimmte Tumim zu. » Ich kann dir nicht sagen, wo ich bin oder wann ich wieder zurück sein werde, Schatz, das ist alles sehr geheim, verstehst du. Natürlich haben die alle Affären. Hätten wir wahrscheinlich auch.« Er erzählte Tumim die Geschichte seines bigamistischen Schutzbeamten. »Tja, das sind ziemlich attraktive Kerle«, sagte der Richter verständnisvoll.
    Als der Direktor des Maze-Gefängnisses im nordirischen Long Kesh, in dem der IRA - Mann Bobby Sands am Hungerstreik gege n die Haftbedingungen in den ›H-Blocks‹ gestorben war, Tumim mitteilte, dass er nicht mehr auf der IRA -Liste stand, durfte er sich wieder sicher fühlen. Er war von der Liste gestrichen worden. »Im Grunde haben die Leute vom Geheimdienst nicht besonders viel Durchblick«, meinte er. »Doch wenn ich mich damals geweigert hätte, mein Haus zu verlassen, wäre ich womöglich erschossen worden. Ich saß gern am Fenster und schaute zum Fluss hinüber. Das andere Flussufer war mit Büschen bewachsen, perfekt für einen Scharfschützen. Ich wäre ein leichtes Ziel gewesen. Die Jungs von der Schutztruppe sagten mir, jedes Mal, wenn Sie in den Garten gehen, werden Sie sich fragen, ob vielleicht jemand im Gestrüpp lauert. Doch inzwischen ist es okay.«
    Ronnie erzählte ihm am nächsten Tag, inzwischen würde der Richter darüber Witze machen, doch damals sei es für ihn und seine Familie schrecklich gewesen. Eine seiner Töchter hatte es nicht ertragen, mit so vielen bewaffneten Männern unter einem Dach zu leben, und hatte angefangen, in jedem Zimmer Schilder aufzuhängen, Anweisungen wie RAUCHEN VERBOTEN und dergleichen. Der Verlust von Privatsphäre und Spontaneität: Damit wurde man am schwersten fertig. Es hatte gutgetan, mit jemandem zu reden, der das Gleiche durchlebt hatte und dessen Geschichte zu einem guten Ende gefunden hatte. Elizabeth und Winifred Tumim klagten einander ihr Leid über die schweren Türen der kugelsicheren Wagen. Es gab nicht viele, mit denen man sich darüber austauschen konnte. »Man lernt, stolz auf die Polizei und sehr viel weniger tolerant gegenüber diesen Mistkerlen zu sein«, sagte der Richter. »Ich hab’s mit der IRA zu tun. Es gibt alle möglichen Arten von Mistkerlen, nicht alle sind Muslime.«
    *
    Mr Anton stellte fest, dass die Polizei ihre Einstellung zu Operation Malachite änderte. Zum einen planten sie eine gelegentliche ›ver steckte Überwachung‹ von Zafars und Clarissas Wohnung, und er war froh darüber, denn es hatte ihm stets Sorgen bereitet, dass die Burma Road völlig unbewacht blieb. Dick Wood meinte, womöglich müssten sie einen Teamwechsel vornehmen, wenn er das Haus verließ, und sei es nur, um ins Kino zu gehen, denn er wolle nicht, dass die Gesichter aus der Bishop’s Avenue allzu bekannt würden. Zum anderen zeigte man sich dem ›Kunden‹ gegenüber nachgiebiger. »Ich finde, wir sollten den Iranern nicht die Arbeit abnehmen, indem wir Sie hinter Schloss und Riegel halten«, meinte der Beamte Tony Dunblane im Vertrauen. Kurz darauf pflichtete sein Vorgesetzter Dick Wood ihm bei. »Ich habe den Eindruck, man hat Sie über drei Jahre lang wie ein ungezogenes Kind behandelt«, sagte Dick. Viele der Einschränkungen, auf die Mr Greenup bestanden hatte, hätten sich als unnötig erwiesen. Und das sagen Sie mir jetzt , entgegnete er. Über drei Jahre meines Lebens waren unerfreulicher als nötig, weil Greenup mich nicht leiden konnte. Um jeden Zentimeter Freiraum musste ich kämpfen. »Ich weiß nicht, wie Sie das ausgehalten haben«, sagte Dick. »Von uns hätte das kei ner geschafft.«
    Auch Helen Hammington war milder geworden und bereit, dem Malachite-Klienten das Leben ein wenig zu erleichtern. Vielleicht hatten all seine Treffen mit bedeutenden Weltpolitikern ihre Einstellung geändert. Oder seine Argumente hatten endlich Früchte getragen. Er fragte nicht nach.
    *
    1982 hatte er in Kerala die alte Synagoge von Kochi besucht, ein kleines, mit blauen chinesischen Kacheln ausgelegtes Juwel ( FLIESEN AUS KANTON & KEINE ZWEI SIND IDENTISCH , stand auf einem Schild zu lesen). Die Geschichte der beinahe ausgelöschten Cochin-Juden regte seine Fantasie an, und er sprach den winzigen Hausmeister der Synagoge an, einen ältereren Herrn mit dem hübschen

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