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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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diese Art von Gewalt, verherrlichte sie, erstickte jegliche Reaktion darauf und wurde dadurch zu einer brillanten Metapher dafür, was Gewalt cool werden ließ. Die Lektüre von A Clockwork Orange gab Aufschluss über die Feinde von Die satanischen Verse.
    *
    ›Der Courter‹ war beendet, die Osten-, Westen -Sammlung komplett. Auch der rund vierzigtausend Wörter lange erste Teil von Des Mauren letzter Seufzer, ›Ein geteiltes Haus‹, war fertig. Die Blockade war überwunden. Er war tief in seinem Traum. Er war nicht länger in Kochi. Vor seinem inneren Auge wurde die Stadt seiner Kindheit lebendig, die einen anderen Namen annehmen musste, genau wie er selbst. Mitternachtskinder war sein Roman über Bombay gewesen. Dieses Buch würde von einem dunkleren, verdorbeneren, gewaltsameren Ort erzählen, gesehen nicht durch Kinderaugen, sondern mit dem vorbelasteten Blick des Erwachsenen. Ein Roman über Mumbai.
    *
    Er hatte in Indien ein Gerichtsverfahren eingeleitet, um ein Stück Familiengrundbesitz zurückzuerhalten, nämlich das Sommerhaus seines Großvaters in Solan in den Hügeln von Shimla, welches von der Regierung des Himachal Pradesh illegal beschlagnahmt worden war. Als die Sache in London bekannt wurde, brachte die Daily Mail einen Leitartikel, in dem es hieß, wenn er gern nach Solon ziehen wolle, kämen bestimmt genug Spenden zusammen, um ihm die Reise zu zahlen, was schließlich viel billiger sei, als für seinen Schutz aufzukommen. Wäre irgendeinem anderen indischen Einwanderer in Großbritannien gesagt worden, er solle dahin zurückgehen, wo er hergekommen sei, hätte man das Rassismus genannt, doch über diesen speziellen Einwanderer durfte man offenbar reden, wie man wollte.
    Ende Juni reiste er nach Norwegen, um William Nygaard zu besuchen, der sich ganz allmählich von seinen Verletzungen erholte und ihn in die Arme schloss. Im Juli schrieb er für die Berliner tageszeitung den ersten einer Reihe von offenen Briefen an die bedrohte bangladeschische Autorin Taslima Nasrin. Es folgten Briefe von Mario Vargas Llosa, Milan Kundera, Czesław Miłosz und vielen anderen. Am 7. August bestand die Fatwaseit zweitausend Tagen. Am 9. August traf Taslima Nasrin dank der Hilfe Gabi Gleichmanns vom Schwedischen P.E.N.-Club in Stockholm ein und bekam von der schwedischen Regierung Asyl gewährt. Neun Tage später erhielt sie den Kurt-Tucholsky-Preis. Sie war in Sicherheit; verbannt, ihrer Sprache, ihres Landes und ihrer Kultur beraubt, aber am Leben. »Das Exil«, so hatte er in Die satanischen Verse geschrieben, »ist ein Traum von glorreicher Rückkehr.« Er hatte über das Exil eines Khomeini-ähnlichen Imam geschrieben, doch der Satz erwies sich als Bumerang und beschrieb seinen Verfasser und nun auch Taslima. Er konnte nicht nach Indien und Taslima nicht nach Bangladesch zurückkehren; sie konnten nur träumen.
    *
    In aller Umsicht hatte er eine mehrwöchige Flucht eingefädelt. Elizabeth und Zafar und er fuhren mit dem Nachtzug nach Schottland, wo die tags zuvor losgefahrenen Schutzfahrzeuge bereits warteten. Auf der kleinen Privatinsel Eriska vor Oban gab es ein verträumtes Hotel, und eine Woche lang taten sie Dinge, die man als normaler Urlauber tut – Inselwanderungen, Skeetschießen, Minigolf – und sich wie unbeschreiblicher Luxus anfühlten. Sie fuhren nach Iona, und auf dem Friedhof, auf dem die alten schottischen Könige lagen und Machbeth persönlich beerdigt war, sahen sie ein frisches Grab mit noch feuchter Erde darauf, in dem der Labour-Führer John Smith gerade beigesetzt worden war. Er war Smith einmal begegnet und hatte ihn bewundert. Er blieb vor dem Grab stehen und senkte sein Haupt.
    Auf Schottland folgte die richtige Flucht. Elizabeth und Zafar flogen von London nach New York. Er musste abermals den langen Weg nehmen. Er flog nach Oslo, wartete, nahm den Scandinavian-Airlines-Flug nach JFK und kam im strömenden Regen an. Die US -Behörden hatten ihn gebeten, an Bord zu bleiben, und als alle anderen Passagiere das Flugzeug verlassen hatten, stiegen sie zu ihm in die Maschine und gingen die Einreiseformalitäten durch. Er wurde aus dem Flugzeug geleitet und über das Rollfeld zum verabredeten Treffpunkt mit Andrew Wylie gefahren. Dann saß er in Andrews Auto und die Welt der Bewachung blieb zurück und entließ ihn in die Freiheit. Es war keinerlei Schutz beantragt, angeboten oder auferlegt worden. Die Freiheitsstatue hatte ihr Versprechen gehalten.
    Freiheit! Freiheit! Er fühlte sich

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