Joseph Anton
»wortgetreuer, aber gesetzeswidriger Nachdruck der Encyclopedia Britannica von 1902«, in deren sechsundvierzigstem Band die fiktionalen Charaktere ›Borges‹ und ›Bioy Casares‹ auf einen Artikel über das Land Uqbar stoßen, und natürlich die magische Enzyklopädie von Tlön selbst.
Er hätte den ganzen Tag mit diesen wunderbaren Büchern zubringen können, doch er hatte nur eine Stunde. Als sie gingen, machte María Elizabeth ein wertvolles Geschenk, eine steinerne ›Sandrose‹, eines der ersten Geschenke, die Borges ihr gemacht hatte, und sagte, ich hoffe, ihr werdet so glücklich, wie wir es waren.
»Erinnern Sie sich an einen Essay, den Borges als Vorwort zu einem Argentinienbildband eines Fotografen namens Gustavo Thorlichen geschrieben hat?«, fragte er María.
»Ja. Den Essay, in dem er von der Umöglichkeit schreibt, die Pampa zu fotografieren.«
»Die unendliche Pampa«, sagte er, »die Borges’sche Pampa, die nicht Raum, sondern Zeit ist: Darin leben wir.«
In Buenos Aires gab es Polizeischutz, doch der war ertragbar, ausradierbar . Die Nachricht vom chilenischen Polizeiwahnsinn war ihm vorausgeeilt, und die argentinischen Sicherheitskräfte wollten eine bessere Figur machen und ließen ihm ein wenig Luft. Er konnte seine Arbeit für Des Mauren letzter Seufzer tun und sogar ein wenig Tourismus einschieben, ein Besuch der Familiengruft auf dem Friedhof La Recoleta, wo Eva Perón ruhte und eine kleine Lloyd-Webber-artige Plakette die Besucher ermahnte, nicht um sie zu weinen. No me llores . Na schön, dann nicht, sagte er still. Wie Sie wünschen, Lady.
Man hatte ihn um ein Treffen mit dem argentinischen Außenminister Guido di Tella gebeten, und auf dem Weg dorthin sagte ihm der Mitarbeiter der britischen Botschaft, der ihn begleitete, Alan Parker habe keine Erlaubnis bekommen, seinen Film Evita mit Madonna in der Casa Rosada zu drehen. »Wenn Sie das irgendwie erwähnen könnten«, murmelte der Diplomat, »wäre das sehr hilfreich. Vielleicht könnten Sie das ganz nebenbei einfließen lassen.« Das tat er. Nachdem Señor di Tella sich nach der Fatwa erkundigt und sich in den inzwischen üblichen (und überwiegend sinnentleerten) zustimmenden Lauten ergangen hatte, fragte er nach den Schwierigkeiten mit dem Film. Di Tella machte eine bedauernde Handbewegung. »Die Casa Rosada ist nun mal Regierungssitz, es ist schwierig, dort Dreharbeiten zuzulassen.«
»Tja, wissen Sie, dieser Film hat ein ziemlich großes Budget und wird auf jeden Fall gedreht, und wenn Sie für die Casa Rosada keine Drehgenehmigung geben, suchen die sich eben ein anderes Gebäude, vielleicht in, keine Ahnung … Uruguay?«
Di Tella zuckte zusammen. »Uruguay?«, rief er.
»Ja. Vielleicht. Vielleicht Uruguay.«
»Okay. Entschuldigen Sie mich einen Moment. Ich muss kurz telefonieren.«
Kurz nach dieser Unterhaltung erhielt Evita eine Drehgenehmigung für die Casa Rosada. Als der Film in die Kinos kam, las er, Madonna habe persönlich auf den argentinischen Präsidenten eingewirkt, und vielleicht war das der eigentliche Grund für den Sinneswandel. Aber Uruguay hatte vielleicht auch etwas damit zu tun.
Schnappschuss aus Mexiko. Ja, es waren überall Polizisten, und, ja, er konnte sein Buch lancieren und über Meinungsfreiheit sprechen und die Überreste der blutrünstigen Azteken und das Haus von Frida Kahlo und Diego Rivera in Coyoacán besuchen und das Zimmer besichtigen, in dem der Mörder Mercader Trotzki einen Eispickel in den Kopf gerammt hatte, und, ja, er durfte zusammen mit Carlos Fuentes an der Buchmesse Guadalajara teilnehmen und wurde im Hubschrauber über die von blauen Agaven bewachsenen Hügel nach Tequila geflogen, um dort zusammen mit den anderen Autoren, die auf der Messe gesprochen hatten, auf einer alten Tequila-Hacienda zu Mittag zu essen, wo sogar eine Mariachiband spielte, und alle tranken zu viel Tres-Generaciones-Tequila, und es stellten sich Kopfschmerzen und andere übliche Folgeerscheinungen ein. Und, ja, sein Besuch in Tequila lieferte ihm den Hintergrund zu einer Anfangsszene von Der Boden unter ihren Füßen, in der die Stadt von einem Erdbeben erschüttert wird und die Fässer platzen und der Tequila durch die Straßen strömt. Und nach Tequila waren er und Elizabeth zusammen mit Carlos und Silvia Fuentes in einem kuriosen Haus namens Pascualitos zu Gast, das in Wirklichkeit eine Ansammlung von palapa -gedeckten Hütten mit Blick auf den Pazifischen Ozean war und in angesagten Büchern
Weitere Kostenlose Bücher