Joseph Anton
nicht gab und Elizabeth den Sommer über allein dort war, ›um zu schreiben und Freunde zu sehen‹. Als die Grobows ihnen auf die Schliche kamen, waren sie ehrlich erfreut, ihm zu einem Sommerrefugium verholfen zu haben. Es waren nette, anständige, aufgeschlossene Leute, deren Tochter bei The Nation arbeitete und die stolz waren, ihm helfen zu dürfen. Doch schon vorher ging ihm auf, dass er sich an diesem Ort, an dem die größte Bedrohung die Lyme-Borreliose darstellte, glücklich fühlte. Sie teilten ihren Aufenthaltsort nur ihren engsten Freunden mit, hielten sich von der ›Hamptons-Szene‹ fern, gingen bei Sonnenuntergang am Strand spazieren, und wie immer in Amerika spürte er, wie sein wahres Ich langsam wieder zu sich kam. Er fing mit seinem neuen Roman an und das von Feldern und Wäldern umgebene Haus der Grobows erwies sich als ein idealer Ort zum Schreiben. Das Buch, von dem er spürte, dass es umfangreich werden würde, nahm ganz allmählich Formen an. Elizabeth war eine begeisterte Gärtnerin und verbrachte viel Zeit damit, sich um die Pflanzen der Grobows zu kümmern. Nach den Griechenlandferien mit seiner Mutter stieß Zafar zu ihnen und war von dem Ort begeistert, und eine Zeitlang konnten sie einfach eine Familie sein, die den Sommer gemeinsam am Meer verbrachte. Sie gingen in den Läden einkaufen und aßen in den Restaurants, und wenn ihn doch jemand erkannte, wurde er diskret in Ruhe gelassen. Eines Abends gingen Andrew und Camie Wylie mit ihnen zum Abendessen ins Nick & Toni’s, und der Künstler Eric Fischl, der auf dem Weg hinaus an ihrem Tisch gehalten hatte, um Andrew zu begrüßen, sah ihn an und fragte: »Müssen wir jetzt alle Angst haben, weil Sie mit uns hier drin sitzen?« Ihm fiel nichts Besseres ein als: »Nun, Sie müssen schon mal keine haben, denn Sie gehen ja gerade.« Er wusste, Fischl hatte es nicht böse gemeint und hatte einen Scherz machen wollen, doch wenn es ihm in jenen Monaten gelang, der Blase seines unwirklichen wirklichen Lebens zu entfliehen, wurde er nur ungern daran erinnert, dass sie noch da war und nur darauf wartete, ihn wieder zu verschlucken.
Anfang September flogen sie nach London zurück, und kurz darauf wurde Elizabeths innigster Wunsch wahr. Sie war schwanger. Sofort befürchtete er das Schlimmste. Wenn eines seiner defekten Chromosomen ausgewählt worden war, würde sich kein Fötus bilden, und sie hätte womöglich schon beim nächsten Monatszyklus eine Fehlgeburt. Doch sie war voll freudiger Zuversicht, dass alles in Ordnung sei, und schon bald konnten sie ein Ultraschallbild ihres lebenden, gesunden Kindes sehen.
»Wir bekommen einen Jungen«, sagte sie.
»Ja«, sagte er, »wir bekommen einen Jungen.«
Es war, als würde die ganze Welt singen.
*
Zusammen mit Christoph Ransmayrs Roman Morbus Kitahara hatte Des Mauren letzter Seufzer den EU -Literaturpreis Prix Aristeion erhalten, doch die dänische Regierung gab bekannt, dass er an der Preisverleihung am 14. November 1996 in Kopenhagen aus Sicherheitsgründen nicht teilnehmen dürfe. Sie behaupteten, Kenntnis von einer ›konkreten Gefahr‹ für sein Leben zu haben, doch die Leute vom Special Branch sagten ihm, sie wüssten davon nichts, und in einem solchen Fall seien die Dänen verpflichtet, ihnen Meldung zu machen. Es war also nur ein Vorwand. Wie immer fühlte er sich zuerst gedemütigt, doch dann kam die Wut. Diesmal würde er sich nicht damit abzufinden. Durch Artikel 19 ließ er ein Statement verlauten. »Es ist ein Skandal, dass Kopenhagen als derzeitige ›Kulturhauptstadt‹ Europas ausgerechnet dem Gewinner des europäischen Literaturpreises die Teilnahme an der Preisverleihung verweigert. Diese feige Entscheidung ist das genaue Gegenteil dessen, wie man Bedrohungen wie der iranischen Fatwa entgegentreten sollte. Wenn solche Bedrohungen sich nicht wiederholen sollen, muss man zeigen, dass sie wirkungslos sind.« Dänische Politiker sämtlicher Parteien inklusive der Regierungspartei verurteilten die Entscheidung scharf, und die Regierung gab nach. Am 13. November flog er nach Dänemark zur Preisverleihung im neuen Arken Museum für Moderne Kunst, das von bewaffneten Polizisten umzingelt war und abgesehen von der festlichen Abendgarderobe der Insassen an ein Gefangenenlager erinnerte.
Nach dem Festakt schlug sein Verleger Johannes Riis vor, mit ein paar Freunden auf einen Drink in eine nette Kopenhagener Bar zu gehen, und als sie in der Bar saßen, traf das ›Weihnachtsbier‹
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