Joseph Anton
Revolution fraß, deren bloße Galionsfigur er sein sollte. Hätte er den Roman einfach gehalten, ihn als politischen Thriller geschrieben, wäre vielleicht was draus geworden, stattdessen wurden die Geschehnisse von mehreren Charakteren im ›inneren Monolog‹ erzählt, was die Geschichte mehr oder weniger unverständlich machte. Niemand mochte sie, eine Veröffentlichung stand außer Frage. Das Ganze war eine Totgeburt.
Es sollte noch schlimmer kommen. Auf der Suche nach einem Fernsehdramatiker schrieb die BBC einen Wettbewerb aus, und er reichte ein Stück über die beiden mit Christus gekreuzigten Verbrecher ein, die sich, ehe Jesus nach Golgatha kam, miteinander unterhielten nach Art der beiden Tramps Didi und Gogo in Becketts Warten auf Godot . Das Stück hieß (natürlich) ›Am Kreuzweg‹ und war ziemlich blöd. Den Wettbewerb hat es nicht gewonnen. Darauf folgte ein romanlanger Text ›The Antagonist‹ in schlechter Pynchon-Manier, der so missglückt war, dass er ihn niemanden zeigte. Der Job in der Agentur hielt ihn über Wasser. Sich Schriftsteller zu nennen, wagte er nicht. Er war ein Werbetexter, der wie alle Werbetexter davon träumte, ein ›echter‹ Schriftsteller zu sein. Allerdings wusste er, dass er noch nicht ›echt‹ war.
Es schien eigenartig, dass ein erklärter Gottloser immer wieder über Religiöses schrieb. Der Glaube war ihm abhandengekommen, das Thema aber blieb und beschäftigte seine Fantasie. Die Strukturen und Metaphern der Religion (Hinduismus und Christentum ebenso wie der Islam) formten seinen ungläubigen Verstand, und das Interesse dieser Religionen an den großen Fragen der Existenz – Woher kommen wir? Und wie, wenn wir schon mal hier sind, sollen wir leben? – war auch sein Interesse, obwohl er zu Schlussfolgerungen kam, die keinen göttlichen Vermittler als Fürsprecher brauchten und erst recht keinen irdischen Priester, der sie sanktionierte und interpretierte. Grimus , sein erster veröffentlichter Roman, wurde bei Victor Gollancz von Liz Calder herausgebracht, ehe sie zu Cape wechselte. Die Geschichte basierte auf Mantiq ut-Tair oder Die Konferenz der Vögel , einem mystischen narrativen Poem vom John Bunyan des Islam, dem Sufi Muslim Farid ud-Din Attar aus dem zwölften Jahrhundert, geboren in Nischapur im heutigen Iran vier Jahre nach dem Tod von Omar Khayyam, dem gefeierten Sohn der Stadt. In dem Gedicht – einer Art muslimischer Pilgerreise – führt ein Wiedehopf tausend Vögel auf eine Reise durch sieben Täler der Mühen und Offenbarungen zum runden Berg Qâf, der Heimstatt ihres Gottes Simurg. Nur dreißig von ihnen überstehen die Strapazen. Als sie den Gipfel erreichen, finden sie jedoch keinen Gott, und ihnen wird erklärt, dass der Name Simurg, teilt man ihn in die Silben si und murg , ›dreißig Vögel‹ bedeutet. Indem sie die Herausforderungen ihrer Suche bewältigten, wurden sie zu der Gottheit, die sie suchten.
›Grimus‹ war ein Anagramm von ›Simurg‹. In seiner Science- Fiction-Nacherzählung von Attars Geschichte sucht ein frecherweise Flapping Eagle genannter ›Indianer‹ nach dem geheimnisvollen Calf Island. Das Werk wurde größtenteils ziemlich abfällig aufgenommen, manche Besprechungen waren fast beleidigend, ein Echo, das ihn erschütterte. Mit dem Mut der Verzweiflung warf er rasch einen kurzen, novellenlangen Roman zu Papier, eine Satire, in der die Karriere der indischen Premierministerin Indira Gandhi in die Welt von Bombays Filmindustrie verlagert wurde. (Philip Roths Satire Unsere Gang über Richard M. Nixon war eines der fernen Vorbilder.) Das Buch war derart vulgär – an einer Stelle wächst der indischen Hauptfigur, einem einflussreichen Filmstar, der Penis ihres toten Vaters –, dass es ebenso rasch abgelehnt wurde, wie es geschrieben worden war. Tiefer konnte er nicht sinken.
Das sechste Tal, durch das in Attars Gedicht die dreißig Vögel ziehen, ist ein Ort der Verwirrung, ein Tal, in dem sie begreifen, dass sie nichts wissen und nichts verstanden haben, weshalb sie Hoffnungslosigkeit und Kummer überkommt. Das siebte Tal ist das Tal des Todes. Mitte der siebziger Jahre kam sich der junge Werbetexter und Romancier wie der verhinderte einunddreißigste Vogel vor.
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Trotz ihres Rufes als Feind aller Hoffnungen tat ihm die Werbebranche eigentlich gut. Er arbeitete jetzt bei der größeren Agentur Ogilvy & Mather, deren Gründer, David Ogilvy, Erfinder des gefeierten Spruchs war: ›Der Konsument ist nicht
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