Joseph Anton
begründet er damit, dass auch Ayatollahs Gefühle haben. Jetzt sagt er uns, seine größte Sorge gelte den jungen Frauen in der Poststelle. Obendrein stellt er deren Sicherheit Rushdies Tantiemen entgegen. Können wir also daraus schließen, dass er nichts dagegen gehabt hätte, wenn Die satanischen Verse kostenlos geschrieben und verlegt und gratis zur Selbstbedienung ausgelegen hätten? Das hätte zumindest diejenigen zufriedengestellt, die glauben, die Verteidigung der freien Meinungsäußerung sollte frei von Kosten und Risiken sein. Tatsächlich ist im Laufe der achtjährigen Fatwa nie eine junge Frau in irgendeiner Poststelle zu Schaden gekommen. Und als die verunsicherten Buchhandelsketten in Nordamerika Die satanischen Verse wegen dubioser ›Sicherheitsgründe‹ kurzzeitig aus dem Handel nahmen, waren es deren Belegschaften, die protestierten und sich bereit erklärten, sich vor die Schaufensterscheiben zu stellen und das Recht des Lesers zu verteidigen, jedes Buch kaufen und lesen zu dürfen. In le Carrés Augen wurde diese mutige Entscheidung in ›Sicherheit‹ getroffen und hat zudem eine große Religion beleidigt! Hätte uns diese Offenbarung dessen, was er im Hirn – Verzeihung! – im Hut hat, nicht erspart bleiben können?«
Am nächsten Tag war le Carré an der Reihe: »Jeder, der gestern Salman Rushdies und Christopher Hitchens’ Brief gelesen hat, könnte sich fragen, in wessen Hände die hehre Sache der Meinungsfreiheit geraten ist. Ob von Rushdies Thron oder aus Hitchens’ Gosse, die Botschaft ist die gleiche: ›Unsere Sache ist absolut, sie duldet weder Widerspruch noch Relativierung; wer sie in Frage stellt, ist per se ignorant, überheblich und halbgebildet. Rushdie macht sich über meine Sprache lustig und tut eine wohldurchdachte und positiv aufgenommene Rede, die ich vor der Anglo-Israelischen Gesellschaft gehalten habe und die The Guardian eines Nachdruckes für würdig befand, als Müll ab. Hitchens stellt mich als Blödmann hin, der sich seinen eigenen Urin über den Kopf gießt. Zwei tobende Ayatollahs hätten es nicht besser machen können. Doch wird die Freundschaft halten? Ich bin erstaunt, dass Hitchens Rushdies Selbstkanonisierung so lange ertragen hat. Soweit ich feststellen kann, bestreitet Rushdie nicht, eine große Religion beleidigt zu haben. Stattdessen wirft er mir vor – man beachte seine absurde Ausdrucksweise –, ich hätte die vernagelte, reduktionistische, radikal islamistische Auffassung übernommen. Ich wusste gar nicht, dass ich so klug bin. Was ich weiß, ist, dass Rushdie es mit einem bekannten Feind aufgenommen und nach dessen vorhersehbarer Reaktion ›Foul‹ geschrien hat. Die Qualen, die er durchmachen muss, sind entsetzlich, doch sie machen ihn weder zum Märtyrer, noch – sosehr er es sich auch wünscht – wischt sie sämtliche Fragwürdigkeiten über sein eigenes Zutun zu seinem Niedergang beiseite.«
Wer A sagt, muss auch B sagen, dachte er. »Es ist richtig, dass ich [le Carré] überheblich genannt habe, was mir unter den gegebenen Umständen ziemlich gelinde erschien. ›Ignorant‹ und ›halbgebildet‹ sind Narrenkappen, die er sich selbst aufgesetzt hat … Le Carrés Angewohnheit, sich selbst gute Kritiken zu geben (›meine wohldurchdachte und positiv aufgenommene Rede‹), liegt zweifellos darin begründet, dass, nun ja, irgendjemand sie schließlich schreiben muss … Ich habe nicht die Absicht, meine zahlreichen Erläuterungen von Die satanischen Verse – einem Roman, auf den ich sehr stolz bin – zu wiederholen. Ein Roman, Mr le Carré, keine Verhöhnung. Sie wissen doch, was ein Roman ist, oder, John?«
Und so weiter und so fort. Seine Briefe, so le Carré, sollten an britischen Schulen Pflichtlektüre werden, als Beispiel für »als Meinungsfreiheit verbrämte kulturelle Intoleranz«. Er wollte den Kampf beenden, fühlte sich jedoch genötigt, auf die Behauptung zu antworten, es mit einem bekannten Feind aufgenommen und dann ›Foul‹ geschrien zu haben. »Ich nehme an, unser Held aus Hampstead würde den vielen Schriftstellern, Journalisten und Intellektuellen in und aus dem Iran, aus Algerien, Ägypten, der Türkei und anderen Ländern, die ebenfalls gegen Islamismus und für eine säkulare Gesellschaft – kurz, für die Befreiung von großen Weltreligionen – kämpfen, das Gleiche sagen. Ich für meinen Teil habe in diesen bitteren Jahren versucht, die Aufmerksamkeit auf ihre Misere zu lenken. Einige der Besten –
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