Joseph Anton
und er fürchtete, er könnte seine Persönlichkeit verändern und ihn die Welt als einen hasserfüllten Ort voller verachtungswürdiger, abscheulicher Menschen sehen lassen. Manchmal begegnete er solchen Menschen. Auf der Geburtstagsparty seiner Freundin Nigella hatte er gerade die unerträgliche Neuigkeit erfahren, dass ihr Mann John eine neue Geschwulst hatte und es nicht gut für ihn aussah, als er plötzlich einem Journalisten gegenüberstand, dessen Namen er nicht einmal zwölf Jahre später zu Papier bringen konnte, der womöglich ein Glas Wein zu viel intus hatte und anfing, ihn auf dermaßen üble Weise zu beleidigen, dass er Nigellas Fest verlassen musste. Nach dieser Begegnung stand er tagelang völlig neben sich, unfähig zu schreiben, unfähig, Räume zu betreten, in denen ein Mann auf ihn zukommen und ihn beschimpfen konnte, und er sagte alle Verpflichtungen ab und blieb zu Hause und spürte den Splitter des eisigen Spiegels in seinem Herzen. Zwei befreundete Journalisten, Jon Snow und Francis Wheen, erzählten ihm, besagter Journalist habe sie ebenfalls und mit sehr ähnlichen Worten beleidigt, und weil geteilter Kummer erträglicher ist, tröstete ihn das ein wenig. Doch eine weitere Woche lang war er unfähig zu arbeiten.
Vielleicht lag es daran, dass er das Vertrauen in die Welt verlor, in der zu leben er gezwungen war, oder in seine Fähigkeit, Freude in ihr zu finden, dass er die Idee einer Parallelwelt in seinen Roman einfließen ließ, einer Welt, in der Fiktionen Wirklichkeit waren, deren Schöpfer jedoch nicht existierten, in der Alexander Portnoy wirklich war, Philip Roth aber nicht, in der Don Quijote einst gelebt hatte, Cervantes aber nicht; und eine Spielart dieser Welt, in der Jesse Presley und nicht Elvis der überlebende Zwilling war; in der Lou Reed eine Frau und Laurie Anderson ein Mann war. Während er schrieb, erschien das Leben in einer imaginären Welt irgendwie nobler als das schäbige Dasein in der Wirklichkeit. Doch irgendwo am Ende dieses Weges lag der Wahnsinn Don Quijotes. Noch nie hatte er den Roman als Zufluchtsort gesehen, also sollte er auch jetzt nicht anfangen, an eskapistische Literatur zu glauben. Nein, er würde über kollidierende Welten schreiben, über verkrachte Wirklichkeiten, die um dasselbe Raum-Zeit-Segment stritten. In diesem Zeitalter prallten unvereinbare Realitäten häufig aufeinander, genau wie Otto Cone es in Die satanischen Verse gesagt hatte. Israel und Palästina zum Beispiel. Und genauso war die Wirklichkeit, in der er ein anständiger, ehrbarer Mann und ein guter Schriftsteller war, mit einer anderen Wirklichkeit zusammengestoßen, in der er ein teuflisches Wesen und nichtsnutziger Schreiberling war. Es war nicht ganz klar, ob beide Wirklichkeiten nebeneinander bestehen konnten. Vielleicht würde eine die andere verdrängen.
Es war der Abend der ›A‹-Kommando-Party im ›Peeler’s‹ und dies mal war Tony Blair da, und die Polizei brachte sie zusammen. Er redete mit dem Premierminister und legte sein Anliegen dar, und Blair war freundlich, aber unverbindlich. Danach tat Francis Wheen ihm einen großen Gefallen. Er schrieb einen Artikel in The Guardian , in dem er Blair vorwarf, er bleibe im Rushdie-Fall untätig und verweigere dem Autor Solidarität und Unterstützung. Fast umgehend kam ein Anruf von Fiona Millar, Cherie Blairs rechter Hand, die sehr entschuldigend klang und ihn und Elizabeth zum neunten Jahrestag der Fatwa zum Abendessen nach Chequers einlud. Und, ja, natürlich könnten sie Milan mitbringen, die Sache sei freundschaftlich-familiär und ganz informell. Zur Feier seiner Einladung lernte Milan winken.
Lieber Mr Blair,
danke für das Abendessen. Auf Chequers! Danke, dass uns dieser Anblick zuteil wurde. Nelsons Tagebuch, Cromwells Totenmaske – das war toll für mich, schließlich habe ich Geschichte studiert. Elizabeth liebt Gärten und war begeistert von den Buchen usw. Für mich sind alle Bäume ›Bäume‹ und alle Blumen ›Blumen‹, aber trotzdem, ich fand die Blumen und Bäume toll. Ich fand auch toll, dass die Einrichtung nur ein ganz klein wenig ausgeblichen war, ein Hauch von shabby chic, wodurch das Haus tatsächlich bewohnt wirkte und nicht wie ein kleines Landhotel. Ich fand es toll, dass die Angestellten so viel schicker angezogen waren als die Gäste. Ich wette, Margaret Thatcher trug nie Jeans, wenn sie Leute einlud.
Ich weiß noch, dass ich Sie und Cherie, kurz nachdem sie die Parteiführung übernommen
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