Joseph Anton
beleidige und verhöhne seine eigenen Landsleute. Ein Staatssekretär verkündete, die Dreherlaubnis sei zurückgezogen worden, was seine Vorgesetzten jedoch dementierten. Der stellvertretende Außenminister sagte: »Macht weiter.« Der stellvertretende Verteidigungsminister versichterte ihnen »volle militärische Unterstützung«. Dennoch hatte die Abwärtsspirale ihren Anfang genommen. Er konnte die aufziehende Katastrophe förmlich riechen, obgleich sowohl das sri-lankische Auswärtige Amt als auch die Filmbehörde die Dreherlaubnis bestätigt hatten. Es gab ein – wie Chris Hall es nannte – feuchtfröhliches Treffen von lokalen Intelektuellen im BBC -Produktionsbüro, und alle beteuerten ihre Unterstützung. Die sri-lankische Presse stand ebenfalls beinahe geschlossen dahinter. Doch das Gefühl drohender Niederlage blieb. Eine Woche später wurde die Drehgenehmigung ohne weitere Erklärung zurückgezogen, gerade einmal sechs Wochen nachdem die Präsidentin ihre schriftliche Erlaubnis gegeben hatte. Die Regierung versuchte, ein politisch heikles Dezentralisierungsgesetz auf den Weg zu bringen, und brauchte die Unterstützung der wenigen muslimischen Abgeordneten. Hinter den Kulissen hatten der Iran und Saudi-Arabien gedroht, sri-lankische Arbeiter auszuweisen, wenn die Produktion nicht gestoppt werde.
Weder in Indien noch in Sri Lanka hatte es einen öffentlichen Aufschrei gegen die Produktion gegeben. Doch in beiden Ländern hatte man dem Projekt den Garaus gemacht. Er hatte das Gefühl, als hätte ihm jemand einen heftigen Schlag versetzt. »Ich darf nicht fallen«, dachte er, doch er war am Boden zerstört.
Chris Hall war nach wie vor überzeugt, Flora Botsfords Artikel habe die Sache ins Rollen gebracht. »Die BBC hat dir keinen guten Dienst erwiesen«, sagte er. Die Präsidentin Kumaratunga schrieb ihm einen persönlichen Brief, um sich für die Absage zu entschuldigen. »Ich habe das Buch mit dem Titel Mitternachtskinder sehr gern gelesen und hätte mich gefreut, es als Film zu sehen. Doch manchmal ist politisches Kalkül hehreren Zielen überlegen. Ich hoffe, es kommt bald der Tag, an dem Sri Lanka wieder anfängt, rational zu denken, und sich wieder auf die wahren und eigentlichen Werte im Leben zu besinnen. Dann wird mein Land wieder zu dem ›Serendip‹ werden, was es sein sollte.« 1999 überlebte sie einen Mordanschlag der Tamil Tigers, blieb jedoch auf einem Auge blind.
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Der letzte Akt des Märchens vom Mitternachtskinder- Film, der mit dem Happyend, begann elf Jahre später. Im Herbst 2008 war er wegen seines soeben erschienenen Romans Die bezaubernde Florentinerin in Toronto und aß eines Abends abseits der Buchpräsentation mit der befreundeten Filmregisseurin Deepa Mehta zu Abend. »Welches Buch von dir ich wirklich gern verfilmen würde, ist Mitternachtskin der «, sagte Deepa. »Wer hat die Rechte?« – »Zufälligerweise ich«, antwortete er. »Dann darf ich es machen?«, fragte sie. »Ja«, antwortete er. Für einen Dollar gab er ihr eine Option, und die folgenden zwei Jahre brachten sie damit zu, Geld zu sammeln und das Drehbuch zu schreiben. Die Drehbücher, die er für die BBC verfasst hatte, wirkten inzwischen hölzern und gekünstelt, und rückblickend war er froh, dass sie nie verfilmt worden waren. Das neue Drehbuch hatte rundweg filmisches Format, und Deepas Vorstellungen waren den seinen sehr nahe. Im Januar 2011 kehrte Mitternachtskinder als Spielfilmproduktion nach Indien und Sri Lanka zurück, und dreißig Jahre nach seinem Erscheinen und vierzehn Jahre nach dem Scheitern der BBC -Fernsehserie wurde aus dem Roman endlich ein Film. Am Tag, als die Dreharbeiten in Colombo abgeschlossen waren, hatte er das Gefühl, ein Fluch sei gebrochen worden. Ein weiterer Gipfel war genommen.
Mitten in den Dreharbeiten versuchten die Iraner wieder dazwischenzufunken. Der Botschafter von Sri Lanka war ins Auswärtige Amt in Teheran gezerrt worden, um sich anhören zu müssen, der Iran heiße das Projekt nicht gut. Kurzfristig wurde die Dreherlaubnis abermals entzogen. Wieder gab es ein Genehmigungsschreiben des Präsidenten, und er fürchtete, auch dieser Präsident könnte sich unter Druck als rückgratlos erweisen, doch diesmal kam es anders. »Machen Sie weiter und drehen Sie Ihren Film«, sagte der Präsident.
Der Film wurde fertig, der Filmstart für 2012 festgesetzt. Was für eine Flut von Gefühlen sich in diesem dürftigen Satz verbarg. Per ardua ad astra , dachte er. Es war
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