Joseph Anton
gehen zu dürfen. Viele von uns, die keinerlei Hang zur Politik hatten, haben sich der Umstände halber in politische Wesen verwandelt und sind in diesen Kampf gezogen, weil er es wert war, gekämpft zu werden, und das nicht nur meinetwegen, nicht nur, um meine Haut zu retten, sondern weil er für Dinge stand, die uns am meisten auf dieser Welt bedeuten.
Ich glaube, dieser Moment gebietet kein anderes Gefühl als die ernste und tiefgreifende Befriedigung, dass einer der bedeutendsten Grundsätze freier Gesellschaften verteidigt wurde.
Ich möchte allen Menschen danken, die diesen Kampf mitgekämpft haben. Frances und Carmel und Artikel 19 und die Verteidigungskomitees in den USA , Skandinavien, Holland, Frankreich, Deutschland und überall sonst waren entscheidend. Dies ist ein Kampf, den normale Menschen gekämpft haben. Er mündete in politische Ver handlungen, die zu diesem glücklichen Ende geführt haben. Doch dass es so weit kam, ist normalen Menschen zu verdanken, Lesern, Autoren, Buchhändlern, Verlegern, Übersetzern und Bürgern. Dies ist nicht nur mein Tag, es ist unser aller Tag. Ich glaube, wir sollten erkennen, dass hinter all den Fragen um Terrorismus und Sicherheit, um Personenschutz durch Polizeisondereinheiten, um die entsprechenden Kosten und so weiter diese eine fundamentale Sache steht, die wir zu verteidigen suchten, und es war eine Ehre, sie verteidigen zu dürfen.
Frei und aus dem Stegreif sprach er zu der Presse, die sich in den Räumen von Artikel 19 drängte, und er dankte auch Elizabeth und Zafar für ihre Liebe und Unterstützung. Er wurde gefilmt, wie er allein und als ›freier Mann‹ die Upper Street in Islington hinunterging und linkisch eine zögerliche Faust in die Höhe reckte. Es folgte ein Tag mit Interviews. Als er am Abend mit einem guten Gefühl nach Hause kam, wartete ein Leitartikel im Evening Standard auf ihn, der ihn als gesellschaftlichen Plagegeist und Kotzbrocken bezeichnete. Und der Tenor der BBC - und ITN -Nachrichtensendungen lautete: ›Keine Entschuldigung!‹ So sah die Berichterstattung der britischen Medien über die Ereignisse dieses Tages aus. Dieser Plagegeist und Kotzbrocken hatte sich schlussendlich geweigert, sich für sein grässliches Buch zu entschuldigen.
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Am folgenden Sonntag brachte er Zafar zur Uni nach Exeter, und Elizabeth und Clarissa kamen ebenfalls mit. Als Zafar sein Zimmer in Lopes Hall betrat, wurde er ganz unglücklich. Er versuchte ihn zu trösten und aufzumuntern, doch schon bald war es Zeit für den Abschied. Es war ein schwerer Moment für Clarissa. »Er braucht uns nicht mehr«, sagte sie mit gesenktem Kopf, um ihre Tränen zu verbergen. »Aber natürlich braucht er uns«, entgegnete er. »Ohne uns macht er keinen Schritt. Er liebt uns beide und bleibt uns nah. Er wird einfach nur erwachsen.«
Als sie abends nach London zurückkamen, mussten sie feststellen, dass die ›Keine Entschuldigung‹-Berichterstattung des britischen Fernsehens im Iran als ›beleidigende Bemerkungen‹ interpretiert worden waren, und schon brachte der designierte Botschafter Muhammadi die Fatwawieder aufs Tapet, und die iranische Presse forderte seinen Tod und sagte, wenn er sich in Sicherheit glaube, sei es noch einfacher, ihn umzubringen. Er fragte sich, ob er ans Messer geliefert worden war, und zugleich wusste er, dass er nicht aufhören durfte, sich von den Fesseln der Schutzmaßnahmen zu befreien, auch wenn er dadurch eine leichtere Zielscheibe wurde.
Zwei Tage später war er wieder in der Spitzelzentrale, um an einem gemeinsamen Treffen mit Mr Morning und Mr Afternoon als Verteter des Sicherheitsdienstes und einem gewissen Michael Axworthy als Vertreter des Auswärtigen Amtes teilzunehmen. Zu seinem Entsetzen sagten Mr Afternoon und Mr Morning einhellig, sie könnten nicht garantieren, dass er vor den Iranischen Revolutionsgarden (den ge fürchteten Pasdaran , den skrupellosen ›Beschützern‹ der islamischen Revo lution) oder den Auftragskillern der libanesischen Hisbollah sicher sei, und es gebe keinen Grund, die Gefahrenstufe zwei zu senken. In diesem Punkt hatte er besonders nachdrücklich auf Derek Fatchett eingewirkt und klare Zusagen bekommen. Fatchett hatte sogar gesagt, die Informationen der Sicherheitsdienste seien überholt. Es stellte sich heraus, dass die Sicherheitsdienste und Scotland Yard außer sich darüber waren, dass das Auswärtige Amt sich auf eine überstürzte Einigung eingelassen hatte. Sie meinten, sie würden
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