Joseph Anton
das Fieber so hoch, dass er einen Arzt aufsuchen musste. Ihm wurde mitgeteilt, er habe eine schwere Brustkorbinfektion, eine angehende Lungenentzündung, und hätte er noch einen Tag länger gewartet, wäre er mit neunundneunzigprozentiger Sicherheit im Krankenhaus gelandet. Er bekam starke Antibiotika und brachte die Interviews irgendwie hinter sich. Danach fühlte er sich besser, wenn auch noch wackelig auf den Beinen, und ging zu einem Empfang bei Tina Brown, wo er sich unversehens in einer kleinen Gruppe von Gästen wiederfand, die aus Martin Amis, Martin Scorsese, David Bowie, Iman Abdulmajid, Harrison Ford, Calista Flockhart und Jerry Seinfeld bestand. »Mr Rushdie«, sagte Seinfeld nervös, »haben Sie eigentlich mal die Folge unserer Show über Sie gesehen?« Die Folge, in der Kramer behauptete, er sei ›Salman Rushdie‹ in der Sauna begegnet, und er und Jerry fragten den Mann aus, dessen Name ›Sal Bass‹ sie für ein Pseudonym für, nun ja, Salmon , Lachs, halten. Als er Mr Seinfeld versicherte, er habe die Folge sehr lustig gefunden, entspannte der Komiker sich sichtlich.
Die Acht-Städte-Tour durch die Vereinigten Staaten verlief ohne alarmierende Zwischenfälle, nur die große Handelsmesse BookExpo America in Los Angeles wollte ihn nicht auf ihrem Gelände sehen. Dafür wurde er in die Playboy Mansion eingeladen, deren Besitzer fraglos mutiger war als die Organisatoren der BEA . Morgan Entrekin, der Verleger bei Grove/Atlantic, hatte ein Buch von Hugh Hefner veröffentlicht, The Century of Sex: Playboy’s History of Sexual Revolution , und durfte dafür eine Party fürs Buchvolk in seiner Villa ausrichten. Das Buchvolk strömte denn auch beflissen in die Holmby Hills, drängte sich auf dem Rasen von Hefnerland aufgeregt in das Festzelt und trank unter den verächtlichen Blicken der zu Tode gelangweilten Bunnies lauwarmen Champagner. Irgendwann im Laufe des Abends kam Morgan in Begleitung einer jungen Blondine mit einem hübschen Lächeln und unfassbaren Kurven auf ihn zugesprungen. Es war Heather Kozar, das frisch gekürte Playmate des Jahres, ein blutjunges Mädchen mit ausgezeichneten Manieren, das sich bedauerlicherweise nicht davon abbringen ließ, ihn mit Sir anzureden. »Es tut mir leid, Sir, ich habe keines Ihrer Bücher gelesen«, entschuldigte sie sich. »Ehrlich gesagt, lese ich nicht viel, Sir, weil ich davon so müde werde und darüber einschlafe.« Ja, ja, pflichtete er ihr bei, ihm gehe es häufig genauso. »Aber ein paar Bücher muss ich lesen, Sir, die Vogue zum Beispiel, damit ich weiß, was so los ist.«
Er flog zurück nach London, ließ seine Lider korrigieren, feierte Milans zweiten und Zafars zwanzigsten Geburtstag und wurde selber zweiundfünfzig. An seinem Geburtstag kamen Sameen und ihre beiden Mädchen zum Abendessen, und dazu Pauline Melville und Jane Wellesley, und ein paar Tage später nahm er Zafar mit zum Center Court nach Wimbledon, um zuzusehen, wie Sampras Henman im Halbfinale schlug. Wären die Polizisten nicht gewesen, hätte es sich fast wie ein normales Leben angefühlt. Die alten Wolken mochten sich vielleicht allmählich auflösen, doch es bildeten sich neue. »Die Kluft zwischen E. und mir hinsichtlich der Frage eines Lebens in New York gefährdet unsere Ehe«, schrieb er in sein Tagebuch. »Ich sehe keinen Ausweg. Wir werden wohl eine Zeitlang getrennt leben müs sen, ich in einer Wohnung in Manhattan und sie in London. Aber wie soll ich die Trennung von diesem süßen kleinen Jungen ertragen, den ich so sehr liebe?«
Mitte Juli reisten sie für neun Wochen in das Haus der Grobows in Bridgehampton, und in dieser Zeit erlag er seiner Millenniums-Illusion.
Selbst wenn man nicht daran glaubte, dass das kommende Jahrtausend die Wiederkehr Christi bedeutete, konnte man sich doch der romantischen ›Jahrtausendidee‹ hingeben, dass solch ein Tag, den es alle tausend Jahre nur einmal gab, eine große Veränderung mit sich bringen könnte und dass das Leben – das Leben der Welt und jedes einzelnen Menschen darin – im aufziehenden Jahrtausend ein besseres werden würde. Tja, man kann nur hoffen , dachte er. A Change is Gonna Come , hatte Sam Cooke 1964 gesungen, und die Worte dieser Hymne klangen ihm in den Ohren.
Anfang August 1999 zeigte sich seine Millenniums-Illusion, die über ihn kommen und sein Leben verändern sollte, in weiblicher Form ausgerechnet auf Liberty Island. Es war geradezu lächerlich, dass er sie unter der Freiheitsstatue treffen
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