Joseph Anton
sollte. In einem Roman hätte man die Symbolik einer solchen Szene als heillos überzogen empfunden. Doch das wirkliche Leben benutzte zuweilen den Holzhammer, um sicherzugehen, dass man seinen Fingerzeig auch verstand; und in seinem wirklichen Leben gaben Tina Brown und Harvey Weinstein eine glamouröse Party auf Long Island, um ihr kurzlebiges Magazin Talk zu lancieren, und es gab ein Feuerwerk, und Macy Gray sang I try to say goodbye and I choke, I try to walk away and I stumble , und die Gästeliste reichte von Madonna bis zu ihm. An dem Abend begegnete er Madonna nicht, sonst hätte er sie gefragt, was ihr Assistent Caresse zu dem TV -Produzenten gesagt hatte, dem er ein Exemplar von Der Boden unter ihren Füßen geschickt hatte in der Hoffnung, von der großen Lady eine positive Rückmeldung zu bekommen – immerhin ging es in dem Buch um einen großen, wenngleich imaginären weiblichen Rockstar. »O nein«, sagte Caresse, »Madonna hat das Buch nicht gelesen , sie hat es zerfetzt .« (Als er Madonna einige Jahre später zusammen mit Zadie Smith tatsächlich bei der Vanity-Fair -Oscar-Party traf, redete sie nur über Immobilienpreise rund um Marble Arch, und er versuchte erst gar nicht, das Thema auf das zerfetzte Buch zu bringen, denn er und Zadie waren viel zu sehr damit beschäftigt, angesichts des großen, göttergleichen, öläugigen Italieners nicht laut loszuprusten, dessen geraunte Anmache Ms Ciccone zu beeindrucken schien: »Sie sind Italienerin, nicht wahr?« fragte er und beugte sich dicht zu ihr hinüber. »Das spüre ich …«)
Elizabeth war mit Milan in Bridgehampton geblieben, und er fuhr mit Zafar, Martin und Isabel in die Stadt. In den Bäumen auf Liberty Island hingen Lichter, und eine kühle Sommerbrise kam vom Wasser her, und sie kannten niemanden, und weil das Tageslicht schwand, war sowieso schwer zu erkennen, wer da war, aber das machte nichts. Dann begegnete er unter einem großen chinesischen Lampion zu Füßen der großen kupfernen Lady plötzlich Padma Lakshmi und wusste sofort, dass er sie schon einmal gesehen hatte, zumindest als Foto in einer italienischen Zeitschrift, in der auch über ihn berichtet worden war, und er erinnerte sich, dass er gedacht hatte: »Sollte ich diesem Mädchen jemals begegnen, bin ich geliefert.« Jetzt sagte er: »Sie sind die wunderschöne junge Inderin, die eine Show im italienischen Fernsehen hatte und dann nach Amerika zurückgegangen ist, um Schauspielerin zu werden.«
Sie konnte einfach nicht glauben, dass er irgendetwas über sie wusste, und weil sie plötzlich zweifelte, ob er wirklich derjenige war, für den sie ihn hielt, bat sie ihn, seinen vollen Namen zu sagen, und das Eis war gebrochen. Obwohl sie nur wenige Minuten miteinander redeten, brachten sie es fertig, ihre Telefonnummern auszutauschen, und als er sie am nächsten Tag anrief, war besetzt, weil sie genau in dem Moment versuchte, ihn zu erreichen. Er saß an der Mecox Bay in seinem Auto, und über das glitzernde Wasser wehte ihm der Geruch nach verschmorter Gans in die Nase.
Er war ein verheirateter Mann. Seine Frau und sein zweijähriger Junge warteten zu Hause auf ihn, und wenn die Dinge dort anders gelegen hätten, hätte ihm sofort eingeleuchtet, dass diese Erscheinung, die all seine Hoffnungen für die Zukunft zu verkörpern schien, dass diese Freiheitsstatue aus Fleisch und Blut nur eine Fata Morgana sein konnte und er sich ins Unglück stürzte, seiner Frau unerträglichen Schmerz zufügte und der Illusion, einer Amerikanerin mit indischen Wurzeln, die große Ambitionen und geheime Pläne hegte, die nichts mit der Erfüllung seiner innersten Bedürfnisse zu tun hatten, eine unfaire Bürde auferlegte, wenn er sich ihr hingab.
Ihr Name war ein Kuriosum, ein durch die Scheidung ihrer Mutter entzwei gebrochener Name. Sie war als Padmalakshmi Vaidyanathan in Delhi geboren worden (auch wenn der größte Teil ihrer tamilisch-brahmanischen ›Tam-Bram‹-Familie in Madras lebte), doch ihr Vater, Vaidyanathan, hatte sie und ihre Mutter Vijayalakshmi verlassen, als sie ein Jahr alt war. Kurzerhand legte Vijayalakshmi den Namen ihres Mannes ab und halbierte stattdessen ihren Namen und den ihrer Tochter. Kurz darauf nahm sie eine Stelle als Oberschwester am New Yorker Sloan-Kettering an, zog dann nach Los Angeles und heiratete erneut. Erst mit knapp dreißig sollte Padma ihren Vater wiedersehen. Noch eine Frau mit einem fehlenden Elternteil. Das Muster seines Liebeslebens setzte sich
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