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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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fort.
    »Du hast eine Erscheinung gehabt und deine Familie dafür zerstört«, sollte Elizabeth sagen, und sie hatte recht. Das Phantom der Freiheit war die Fata Morgana einer Oase. Sie schien seine indische Vergangenheit und seine amerikanische Zukunft in sich zu vereinen. Sie war frei von der Unsicherheit und Sorge, die seinem Leben mit Elizabeth zugesetzt hatte und die Elizabeth nicht abzuschütteln vermochte. Sie war der Traum, all das hinter sich zu lassen und von vorn anzufangen – ein amerikanischer Pilgervatertraum – eine Mayflower- Fantasie, verführerischer noch als ihre Schönheit, und ihre Schönheit strahlte heller als die Sonne.
    Zu Hause gab es wieder einmal Krach um die Dinge, um die es in ihren Streits immer ging. Elizabeths Forderung, dass sie sofort mehr Kinder haben sollten, was er nicht wollte, zog gegen seinen halb wahr gemachten und von ihr gefürchteten Traum von Freiheit in Amerika in den Krieg und drängte ihn eine Woche später nach New York, wo Padma in einem Zimmer des Mark Hotels zu ihm sagte: »Es gibt ein böses Ich in mir, und wenn es herauskommt, nimmt es sich, was es will«, und selbst diese Warnung ließ ihn nicht heim zur ehelichen Bettstatt eilen. Die Illusion war zu mächtig geworden, als dass die Gegenbeweise der Wirklichkeit sie widerlegen könnten. Sie konnte nicht der Traum sein, den er von ihr träumte. Ihre Gefühle für ihn – so sollte er lernen – waren echt, aber unstet. Sie hatte einen Ehrgeiz, der ihre Emotionen oft zunichte machte. Sie sollten eine Art gemeinsames Leben führen – acht Jahre von ihrer ersten Begegnung bis zur Scheidung, keine unerhebliche Zeit –, und am Ende brach sie sein Herz, wie er Elizabeths gebrochen hatte. Am Ende sollte sie Elizabeths wirksamste Rache sein.
    Es war nur eine Nacht. Sie fuhr nach Los Angeles, und er kehrte in den Little Noyac Path und dann nach London zurück. Er schrieb an einer achtzigseitigen Projektschilderung – Treatments für vier Romane und einen Essayband –, von der er hoffte, sie würde genug Vorschuss einbringen, um eine Wohnung in Manhattan zu kaufen. Zwischen ihm und Elizabeth blieb das Klima rau; doch er sah seine Freunde und erhielt eine Ehrendoktorwürde in Lüttich und freute sich, dass Günter Grass den Nobelpreis bekam; und wenn es ihm gelang, es nicht allzu schwer zu nehmen, dass er nicht auf der Shortlist für den Booker Prize stand (genauso wenig wie der bejubelte Vikram Seth und Roddy Doyle), dann lag es daran, dass er Padma spätnachts in ihrer Wohnung in West Hollywood anrief und sich danach besser fühlen durfte, als er sich seit Jahren gefühlt hatte. Dann reiste er anlässlich der Veröffentlichung von La terre sous ses pieds nach Paris, und sie stieß für eine berauschende, mit heftigen Schuldgefühlen durchsetzte Woche zu ihm.
    *
    Zafar war nicht nach Exeter zurückgekehrt, doch was immer seine Eltern darüber denken mochten, wurde plötzlich unwichtig, weil Clarissa mit gut einem Liter Flüssigkeit in der Lunge, die von einer schweren Entzündung in der Rippenregion herrührte, ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Schon seit einer Weile hatte sie sich bei ihrem Hausarzt über akute Beschwerden beklagt, doch der hatte keinerlei Tests machen lassen und ihr gesagt, sie bilde sich alles nur ein. Jetzt wollte sie ihn wegen Fahrlässigkeit verklagen, doch hinter ihrer Wut verbarg sich eine entsetzliche Furcht. Fast genau fünf Jahre waren vergangen, seit sie für krebsfrei erklärt worden war, und eigentlich sollte man sich nach dieser Zeit entspannen können, doch jetzt hatte sie große Angst, die grausame Krankheit könnte wiederkehren. Sie rief ihn an und sagte: »Ich habe es Zafar noch nicht gesagt, aber es besteht die Gefahr eines Sekundärkrebses in der Lunge oder im Knochen. Der Röntgentermin ist nächste Woche, und wenn es irgendeinen Schatten gibt, ist er womöglich inoperabel.« Ihre Stimme zitterte heftig, doch dann nahm sie sich wieder zusammen. Sie war stark geblieben, doch nach dem Wochenende rief ihr Bruder Tim an und bestätigte, dass der Krebs zurück sei. In der Flüssigkeit aus ihren Lungen habe man Krebszellen entdeckt. »Sagst du es Zafar?« Ja, das würde er tun.
    Es war das Schlimmste, was er seinem Sohn je hatte sagen müssen. Zafar hatte nicht damit gerechnet oder die Möglichkeit einfach ausgeblendet und war extrem geschockt. In vielen Dingen war er seiner Mutter ähnlicher als seinem Vater. Er hatte ihr inneres Wesen und ihre grünen Augen und ihre Abenteuerlust;

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