Joseph Anton
Titel ÜBERDENKT DAS VERBOT . Diese Stimmung ging quer durch die Medien. In der Times of India sprach sich ein islamischer Gelehrter zusammen mit anderen Intellektuellen für ein Ende des Banns aus. In den Meinungsumfragen der elektronischen Medien stand es 75 zu 25 Prozent dafür, dass Die satanischen Verse in Indien endlich uneingeschränkt veröffentlicht werden sollten.
Vijay gab eine Abschiedsparty für ihn. Seine beiden Schauspielertanten Uzra Butt und ihre Schwester Zohra Segal waren mit seiner Cousine Kiran Segal da, die Zohras Tochter und eine der herausragenden Koryphäen und Lehrerinnen der klassischen indischen Tanzform Odissi war. Dies war der clowneske Teil seiner Familie, spitzzüngige, gnadenlose Beobachter. Uzra und Zohra waren die Grandes Dames des indischen Theaters, und jeder war irgendwann einmal ein bisschen in Kiran verschossen gewesen. In den Sechzigern lebten Zohra und Kiran in einer Wohnung in Hampstead, und während seiner Zeit in Rugby hatte er ab und zu seine Schulferien in ihrem Gästezimmer neben Kirans Zimmer verbracht, an dessen Tür ein riesiger, mahnender Totenkopf mit gekreuzten Knochen prangte. Vijay Shankardass und Roshan Seth hatten zur selben Zeit ebenfalls in besagtem Gästezimmer gewohnt, und alle drei hatten sie sehnsüchtig auf den Piratenschädel gestarrt, ohne je an ihm vorbeizukommen.
»Ich habe dich seit einer Ewigkeit nicht mehr tanzen gesehen«, sagte er zu Kiran.
»Komm bald wieder, dann werde ich tanzen«, antwortete sie.
*
Es war einmal ein Junge namens Milan, der zusammen mit seinem Vater am Ufer eines verzauberten Flusses lebte. Fuhr man den Fluss zu seiner Quelle hinauf, wurde man jünger, je weiter man fuhr. Fuhr man ihn hinab, wurde man älter. Fuhr man seitwärts einen der zahlreichen Nebenarme entlang, musste man sich vorsehen! Es konnte nämlich passieren, dass man sich in jemand ganz anderes verwandelte. Milan und sein Vater reisten mit einem kleinen Boot flussabwärts, und er wurde zu einem Mann, doch als er sah, wie alt sein Vater geworden war, wollte er kein Mann mehr sein, sondern wieder Kind. Also fuhren sie wieder nach Hause, und er wurde wieder jung, und sein Vater wurde ebenfalls wieder normal. Als Milan das seiner Mutter erzählte, glaubte sie ihm nicht, sie dachte, der verzauberte Fluss sei einfach nur ein Fluss, und es war ihr gleich, woher er kam und wohin er ging oder was mit denen geschah, die ihn bereisten. Doch es stimmte. Er und sein Vater wussten beide, dass es stimmte, und nur das zählte. Ende.
»Ich mag dich, Daddy. Ich hab dir ja gesagt, du kannst mich ins Bett bringen.«
Wenn er in London war, wohnte er noch immer im Haus in der Bishop’s Avenue und schlief in einem der Zimmer, die durch den Abzug der Polizisten frei geworden waren, doch das musste sich ändern. »Wir müssen eine Lösung finden, ich bin es satt, mit dir unter einem Dach zu leben«, sagte Elizabeth und meinte zugleich: »Wenn du wolltest, könnte es so einfach sein, das weißt du.« Sie stritten, und dann wollte sie seine Hand halten, und dann stritten sie wieder. Es war eine entsetzliche Zeit. Du sitzt hier nicht am längeren Hebel. Du bist für die Situation verantwortlich, also musst du auch mit den Konsequenzen leben. Und an einem anderen Tag: Ich liebe dich noch immer. Ich weiß nicht, wohin mit all dieser Liebe. Doch eines Tages in der Zukunft konnten sie zusammen am Strand von Goa spazieren gehen und die Route de Cézanne in Frankreich entlangpilgern, und sie würde nach New York kommen und in seiner Wohnung wohnen und sich als Morticia Addams verkleiden (Milan ging als Michael Jackson und er als Tony Soprano), und sie würden ins Village fahren und zusammen Halloween feiern.
Zehn Tage nach Milans drittem Geburtstag starb Carol Knibb, doch Milan sollte sie nie vergessen. Seine einzige ›richtige‹ Großmutter war weit weg und wollte nicht mehr fliegen, egal, wie oft man sie bat, und er lernte sie nie kennen. Carol war für ihn wie eine Großmutter gewesen, und nun hatte er sie verloren. Er war noch zu klein, um dem Tod so nahe zu kommen.
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Helen Fielding rief an. »Hallo, Salman. Hättest du Lust, dich zum Volltrottel zu machen?« Das Tagebuch der Bridget Jones wurde verfilmt, und sie wollte, dass er in einer Szene von einer Verlagsparty mitmachte, auf der Bridget einen Schriftsteller nach dem Weg zum Klo fragte. »Okay«, sagte er, »wieso nicht?« Die Schauspielerei hatte ihn schon immer gereizt. In der Schule hatte er (bucklig, in
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