Joseph Anton
ihn frei. Er musste weiterhin beweisen, dass er recht hatte und die Schwarzmaler sich irrten. Er konnte seine Freiheit wiedererlangen. Stufe vier konnte gar nicht früh genug kommen.
Auf diese Neuigkeit folgte bald ein weiteres riesiges Zugeständnis. Man habe über den Zustand seiner Ehe gesprochen, teilte ihm der Special Branch mit, und sei sich darüber klar, dass er früher oder später aus dem ehelichen Haus ausziehen wolle und müsse. Nach einer Besprechung mit Mr Morning und Mr Afternoon seien die höheren Stellen im Yard zu dem Schluss gekommen, dass er einen sechsmona tigen ›offenen‹ Schutz an einer neuen Adresse bekomme. Vorausge setzt, es gebe hinsichtlich der Gefahreneinschätzung keine negativen Veränderungen, würden sie das Ende seiner Lebensgefahr bestätigen und den Schutz beenden. Da war sie endlich. Die Ziellinie war in Sicht.
*
Obgleich viele seiner Freundinnen ihn sehr bestärkten (nicht alle; die Kritikerin Hermione Lee traf ihn in einem Restaurant und nannte ihn nur halb freundlich einen ›Schuft‹), hielt seine Sorge um Milan an. Und dann führte sich die echte Frau hinter der Illusion abermals wie eine Irre auf und brach einen völlig aus der Luft gegriffenen Streit vom Zaun, und er ertappte sich bei dem Gedanken, ich gehe zurück, ich tue es für Milan , und machte den Fehler, seine Überlegung mit Elizabeth zu teilen, die vollkommen feindselig darauf reagierte und – verständlicherweise – nur an ihre Verletzungen dachte und nicht an seine Probeme. Er versuchte es ein zweites und drittes Mal. Doch sie war so verletzt, so verbittert, dass sie nicht zu antworten vermochte. Und in der Zwischenzeit flehte die wunderschöne junge Frau in New York, die ihn in ihren Bann geschlagen hatte, er solle sie nicht verlassen, und gab endlich zu, alles, was er gesagt habe, sei wahr, all seine Kritik sei berechtigt, doch sie wollte, dass es zwischen ihnen funktionierte, und würde alles dafür tun. Er glaubte ihr. Er konnte nicht anders. Sie war sein Traum von der Zukunft, und er konnte ihn nicht aufgeben. Also wandte er Elizabeth abermals den Rücken zu. Es war sein letztes Schwanken, sein grausamstes und kläglichstes. Er hasste sich für das, was er getan hatte.
Die Anwälte zogen in den Krieg. Zehn Jahre waren vergangen, seit er mit Elizabeth in Liz Calders Wohnung Lamm mit Kapuzinerkresse gegessen hatte. Ein Jahr war nach dem Blitzschlag auf Liberty Island vergangen.
Nach zwei Fehlstarts, zwei Wohnungen, deren Eigentümern die Sicherheitsmaßnahmen nicht geheuer waren, willigte er ein, eine kleine Mansarde in Notting Hill zu mieten, die dem Popstar Jason Donovan gehörte, dem einstigen Star von Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat . Als die Nachricht an die Öffentlichkeit drang, war der Daily Insult erwartungsgemäß außer sich, dass dieser Mann, der ›Großbritannien hasste‹, jetzt rund um die Uhr uniformierte Polizisten vor seiner Tür stehen haben sollte, nur weil er sich nicht länger ›verstecken‹ wollte. Sie haben Nerven, Mr Rushdie , rief der Insult ihm zu. Elizabeth wollte nicht, dass er Milan in das neue Haus mitnahm. Es sei nicht sicher, meinte sie. Es würde ihn schrecklich aufregen. »Du bist ein selbstsüchtiger Mensch, der durchs Leben geht und die Leben anderer zerstört«, sagte sie zu ihm. »Wen hast du jemals glücklich gemacht? Wie hältst du es überhaupt mit dir aus?« Er wusste keine gute Antwort. Aber am Ende kam Milan doch mit zu ihm. Am Ende entwickelte sich zwischen ihm und Milan eine enge, liebevolle Beziehung, und Milan wuchs zu einem ungewöhnlich reifen, ausgeglichenen, willensstarken, umgänglichen, einzigartigen jungen Menschen heran. Am Ende wurde offenbar, dass Milans Leben keinen Schaden genommen hatte und er ein glücklicher, herzlicher Junge war. Ja, am Ende. Doch davor lag unglücklicherweise die Mitte.
*
Der internationale Verleger amerikanischen Ursprungs, Mr Joseph Anton, verschied unbeweint am selben Tag, an dem der Roman schriftsteller indischen Ursprungs, Salman Rushdie, aus seinen langen Jahren im Untergrund auftauchte und einen zeitweiligen Wohnsitz in Pembridge Mews, Notting Hill, bezog. Mr Rushdie feierte den Augenblick, auch wenn er dabei der Einzige war.
X
Im Halcyon Hotel
E HE SEIN LEBEN MIT PADMA BEGANN , wusste er, abgesehen von der landläufigen Ansicht, dass dort Illusionen geboren würden, sehr we nig über die Stadt Los Angeles. Lange Zeit hatte er geglaubt, das Gebäude im Logo der Twentieth Century Fox gebe
Weitere Kostenlose Bücher