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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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er. Doch es war ebenso möglich, dass der Streit um Die satanischen Verse für die große Mehrheit der indischen Muslime ein alter Hut war und sich trotz der Bemühungen des Politikers und des Imam (beide hatten flammende Reden gehalten) niemand zu einer Demo aufraffen mochte. Oh, ein Schriftsteller ist in der Stadt und geht essen? Wie heißt der? Rushdie? Na und? Das war die fast ausnahmslose Ansicht der indischen Presse hinsichtlich der Tagesereignisse. Die kleine Demonstration wurde erwähnt, doch das politische Eigeninteresse der Organisatoren ebenfalls. Das Drehbuch in den Köpfen der Menschen wurde umgeschrieben. Die vorausgesagte Katastrophe – Krawalle, Tote – war nicht eingetreten. Stattdessen geschah etwas Außergewöhnliches, das Zafar und ihn zutiefst berührte. Denn nicht Gewalt brach in der Stadt aus, sondern Freude.
    Um Viertel vor acht Uhr abends spazierten er und Zafar zum Empfang des Commonwealth Writers’ Prize im Oberoi Hotel, und von dem Augenblick an bis zu ihrer Abreise aus Indien sollten sie aus dem Feiern nicht mehr herauskommen. Jorunalisten und Fotografen umlagerten sie mit höchst unjournalistisch strahlenden Mienen. Freunde drängten sich durch die Medienmauer, um sie zu umarmen. Der Schauspieler Roshan Seth, der sich gerade von einem ernsten Herzleiden erholt hatte, drückte ihn an sich und sagte: »Sieh uns an, yaar , wir sollten beide tot sein und sind immer noch quicklebendig.« Die angesehene Kolumnistin Amita Malik, eine Freundin seiner Familie aus Bombayer Tagen, hielt Zafar zuerst für den Bodyguard seines Vaters (was Zafar sehr amüsierte) und fing dann an, wundervoll aus der Vergangenheit zu erzählen und Anis Rushdies Esprit und Schlagfertigkeit zu loben und Geschichten von Negins geliebtem Bruder Hameed zum Besten zu geben, der vor allzu langer Zeit allzu jung starb. Begabte junge Schriftsteller – Raj Kamal Jha, Namita Gokhale, Shauna Singh Baldwin – kamen auf ihn zu und äußerten sich überschwänglich über die Bedeutung seines Schaffens für ihre Arbeit. Eine der großen Damen englischsprachiger indischer Literatur, die Romanautorin Nayantara Sahgal, klatschte in die Hände und hauchte: »Willkommen zu Hause.« Und Zafar wurde fürs Fernsehen interviewt und äußerte rührend seine Freude, hier zu sein. Ihm ging das Herz auf. Davon hatte er nicht zu träumen gewagt, er hatte sich von den Befürchtungen der Polizei anstecken lassen und sich gegen so manche Enttäuschung gewappnet. Jetzt brach der Schutzwall in sich zusammen, und das Glück zog auf wie eine tropische Morgenröte, schnell und heiß und strahlend. Indien war wieder seins. Es war ein seltenes Geschenk, wenn ein Herzenswunsch in Erfüllung ging.
    Er gewann den Commonwealth Writers’ Prize nicht, der ging an J. M. Coetzee. Doch war dies sowieso mehr ein Heimkehrerfest denn eine Preisverleihung. RUSHDIE IN INDIEN : FREUDE , NICHTS ALS FREUDE . Wie die übermäßig herzliche Titelschlagzeile des Indian Express zeigte, schwappte die Feststimmung in die Medien und ließ die wenigen verhaltenen Gegenstimmen untergehen. In all seinen Unterhaltungen mit der Presse bemühte er sich, keine alten Wunden aufzureißen, den indischen Muslimen zu sagen, dass er nicht ihr Feind sei und es niemals war, und dass er in Indien sei, um zerrissene Bande zu flicken und ein neues Kapitel zu beginnen. »Eine neue Seite wird aufgeschlagen«, pflichtete die Asian Age ihm bei. Auch die Wochenzeitung Outlook freute sich, dass Indien »ein wenig Wiedergutmachung dafür leistete, Die satanischen Verse als Erstes verboten und ihn der Verfolgung und Qual ausgeliefert zu haben, die darauf folgten«. Der Pioneer äußerte sich zufrieden, dass Indien wieder einmal für »demokratische Werte und das Recht des Einzelnen auf Meinungsäußerung eintrat«. Überdies machte er ihm den weniger begeisterten, aber dafür absurden und sehr köstlichen Vorwurf, er würde die »kultivierten Partygängerinnen der Stadt in einen Haufen kichernder Backfische verwandeln«, die ihren Männern sagten: »Schatz, von dem können sich die Bollywood-Schönlinge so einiges abgucken.« Dilip Padgaonkar von der Times of India fand die bewegendsten Worte. »Er ist mit Indien versöhnt und Indien mit ihm … Etwas Großartiges ist ihm widerfahren, das ihm die Kraft geben sollte, uns auch weiterhin mit seinen Geschichten zu verzaubern. Er ist dahin zurückgekehrt, wo sein Herz stets war. Er ist heimgekehrt.« In der Hindustan Times erschien ein Leitartikel mit dem

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