Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
Vom Netzwerk:
sich im Streit. Eigentlich hatten sie ihren vierzigsten Geburtstag in Paris feiern wollen. Wegen Anis’ Erkrankung wurde daraus nun nichts.
    Er war noch von den Gefühlen überwältigt, die Anis’ Tod in ihm ausgelöst hatten, als er Marianne – in einem Ferngespräch – einen Antrag machte. Sie nahm an. Am 23. Januar 1988 schlossen sie auf dem Rathaus in Finsbury die Ehe, aßen im Frederick’s in Islington mit Freunden zu Mittag und verbrachten die Hochzeitsnacht im Ritz. Erst Jahre später erfuhr er, dass seine Schwester Sameen und enge Freunde hinsichtlich ihrer Verbindung die schlimmsten Befürchtungen gehegt, aber nicht gewusst hatten, wie sie ihm davon abraten sollten.
    Vier Tage später schrieb er in sein Tagebuch: »Wie leicht es doch fällt, einen Menschen zu vernichten! Dein erfundener Feind: Wie leicht man ihn zerquetschen kann, wie rasch er dahinsinkt! Das Böse: Es verführt durch seine Leichtigkeit.« Später konnte er sich nicht mehr daran erinnern, warum er das geschrieben hatte. Sicher ging es um irgendeinen Aspekt des Romans, an dem er gerade arbeitete, auch wenn der Gedanke es nicht ins Buch schaffte. Ein Jahr später aber kam es ihm vor – nun ja, wie eine Prophezeiung.
    Er schrieb auch: »Sollte ich trotz aller Aufruhr der Gefühle, trotz Scheidung, Umzug, Nicaragua-Buch, Indien-Film etc. Die satanischen Verse je zu Ende schreiben, dann habe ich, das spüre ich, meine ›erste Aufgabe‹ vollbracht, nämlich alle Teile meiner selbst zu benennen. Danach bleibt nichts mehr zu schreiben, nur noch, natürlich, das ganze menschliche Leben.«
    Am 16. Februar 1988, einem Dienstag, schrieb er um 16.10 Uhr mit Großbuchstaben ins Tagebuch: » DAS ENDE – ES IST GESCHAFFT .« Am Mittwoch, dem 17. Februar, brachte er noch kleinere Änderungen an, dann schickte er das Buch seinem Agenten. An jenem Wochenende begannen Sameen und Pauline das Buch zu lesen. Sameen hatte es am Montag durch und war größtenteils davon begeistert, nur die Beschreibung von Changez’ Tod hatte sie ziemlich verstört. »Ich wollte ständig dazwischenrufen: ›Aber ich war auch da. Das hat er nicht zu dir, sondern zu mir gesagt. Das warst nicht du, das war ich.‹ Aber du hast mich aus der Geschichte herausgehalten, und von nun an werden alle Leute glauben, so sei es gewesen.« Er wusste ihren Vorwürfen nichts entgegenzusetzen. »Ist okay«, fuhr sie fort. »Ich habe gesagt, was ich sagen wollte. Ich werde schon drüber wegkommen.«
    *
    Verlässt ein Buch den Schreibtisch des Autors, verändert es sich. Noch ehe jemand anderes es gelesen hat, noch ehe der Blick eines anderen Menschen auch nur auf einen einzigen Satz fiel, hat es sich unwiderruflich verändert. Es wurde zu einem Buch, das gelesen werden kann , das nicht mehr allein seinem Verfasser gehört. Es besitzt nun gleichsam einen freien Willen und wird seine Reise durch die Welt antreten, dagegen kann der Autor nichts mehr machen. Ja, er selbst liest jetzt, da seine Worte von anderen gelesen werden können, die eigenen Sätze anders, sobald er einen Blick ins Buch wirft. Sie kommen ihm wie fremde Sätze vor. Das Buch ist hinaus in die Welt gegangen, und die Welt hat es umgestaltet.
    Die satanischen Verse hatte das Haus verlassen. Ihre Metamorphose, ihre Verwandlung durch ihr Engagement mit der Welt außerhalb des Schreibtisches des Autors sollte extrem ausfallen.
    Während der Arbeit am Buch hing über seinem Tisch eine Notiz: »Wer ein Buch schreibt, geht einen umgekehrten faustischen Pakt ein«, stand auf dem Zettel. »Um Unsterblichkeit zu gewinnen oder auch nur über den Tod hinaus berühmt zu werden, verliert man oder verdirbt man sich doch sein eigentliches, alltägliches Leben.«

II
    »Manuskripte brennen nicht«

»Sagen Sie mir, warum Margarita Sie Meister nennt?«, fragte Voland.
    Der Meister lächelte.
    »Eine verzeihliche Schwäche. Sie hat eine zu hohe Meinung von dem Roman, den ich geschrieben habe.«
    »Wovon handelt der Roman?«
    »Von Pontius Pilatus.« …
    »Von wem, von wem?«, sagte Voland und hörte auf zu lachen. »Heutzutage? Das ist gut! Können Sie kein anderes Thema finden? Lassen Sie sehen.« Voland streckte die geöffnete Hand aus.
    »Das ist leider unmöglich«, antwortete der Meister, »ich habe das Manuskript im Ofen verbrannt.«
    »Verzeihen Sie, das glaube ich nicht«, entgegnete Voland, »das kann nicht sein, denn Manuskripte brennen nicht.« Er wandte sich Behemoth zu und sagte: »Komm, Behemoth, gib mal den Roman her.«
    Sofort

Weitere Kostenlose Bücher