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Joseph Anton

Joseph Anton

Titel: Joseph Anton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Rushdie
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sprang der Kater von seinem Sitz, und alle sahen, dass er auf einem dicken Stoß Manuskripte gehockt hatte. Das oberste Exemplar reichte er mit einer Verbeugung Voland. Margarita zuckte zusammen und schrie, abermals zu Tränen erregt:
    »Da ist es ja, das Manuskript! Da ist es!«
    *
    Der Teufel, Voland, gibt in Michail Bulgakows Der Meister und Margarita dem Meister seinen vernichteten Roman zurück.
    *
    I N DEN FRÜHEN MORGENSTUNDEN des 15. Februar 1989 wälzte er sich neben seiner Frau unruhig im Bett. Am Vormittag sollte ihn ein hoher Beamter vom Special-Branch-›A‹-Kommando der Metropolitan Police aufsuchen, das im Vereinigten Königreich verantwortlich für den Personenschutz war (ausgenommen die königliche Familie, deren Schutz dem Royal Protection Squad oblag). Der Special Branch hieß ursprünglich Special Irish Branch und wurde 1883 gegründet, um gegen die Irish Republican Brotherhood vorzugehen. Bis vor kurzem beschützte er daher auch einzelne Personen – den Premierminister, den Verteidigungsminister, den Außenminister, den Nordirlandsekretär oder bestimmte herausragende Parlamentsabgeordnete – vor allem gegen die Nachfolger der Brotherhood, gegen die Aktivitäten der Provisional IRA . Doch der Terrorismus wurde vielfältiger, und seine Gegner mussten es mit neuen Feinden aufnehmen. Vorsteher der jüdischen Gemeinden brauchten gelegentlich Schutz, wenn sie glaubhafte islamistische Bedrohungen erhielten. Und nun war da noch dieser Romanschreiber, der schlaflos in dem dunklen Haus am Lonsdale Square lag. Ein Mullah mit langem Arm griff über die halbe Welt nach ihm, um das Leben aus ihm herauszuquetschen. Das war ein Fall für die Polizei.
    Ein Offizier vom Nachrichtendienst würde den Mann vom Special Branch begleiten, und sie würden ihm sagen, welche Sicherheitsentscheidungen hinsichtlich seiner Gefährdung getroffen worden waren. Gefahr war in diesem Zusammenhang ein technischer Fachausdruck und bedeutete nicht dasselbe wie Risiko, denn die Gefahrenstufe war allgemein, die Risikostufe speziell. Die Gefahrenstufe mochte für die betroffene Person hoch sein – wie hoch, das bestimmte der Nachrichtendienst –, doch konnte die mit einer spezifischen Handlungsweise einhergehende Risikostufe deutlich niedriger sein, zum Beispiel, wenn niemand wusste, was man vorhatte oder wann man es vorhatte. Die Risikoeinschätzung gehörte zur Aufgabe der Schutztruppe der Polizei. Dies waren Begrifflichkeiten, mit denen er lernen musste umzugehen, da die Einschätzung von Gefahr und Risiko von nun an sein tägliches Leben bestimmen sollte. Im Augenblick aber dachte er an die Insel Mauritius.
    Zehn Tage nachdem er Die satanischen Verse abgegeben hatte, be endete Marianne ihr neues Buch John Dollar , einen Roman – un ter anderem um Kannibalismus bei Gestrandeten auf einer einsamen Insel –, den sie beharrlich, und in seinen Augen unklugerweise, eine ›feministische Version von Der Herr der Fliegen ‹ nannte. Beim Abendessen anlässlich der Vergabe des Booker-Preises 1988, als Die satanischen Verse Peter Careys Roman Oscar und Lucinda unterlagen, beschrieb sie ihr Buch sogar William Golding selbst mit diesen Worten. Und das war ganz bestimmt nicht klug. Zwei Tage nach Beendigung ihrer Arbeit am Roman flogen sie mit Mariannes Tochter Lara Porzak, Studentin der Universität Dartmouth und angehende Fotografin, in den Urlaub nach Mauritius, was, zum Glück, keine verlassene Insel war, weshalb auch kein ›langbeiniges Schwein‹ auf der Speisekarte stand. Es war sein erster Urlaub in einem ›Inselparadies‹, und er wusste ein wenig faulen Hedonismus durchaus zu genießen; die Arbeit am Roman hatte ihn doch stärker mitgenommen als all seine Bücher vorher. Während sie am Strand lagen, verschickten Andrew Wylie in New York und Gillon Aitken in London erste Exemplare, und die Räder der Verlagsindustrie begannen sich zu drehen. Er schwamm in einem Meer, so warm, dass er keinen Temperaturunterschied merkte, wenn er ins Wasser ging, sah tropische Sonnenuntergänge, trank Schirmchen-Cocktails mit Früchten, aß köstlichen frischen Fisch, der sacréchien hieß, und dachte an Sonny Mehta bei Knopf, Peter Mayer bei Viking und an die Herausgeber bei Doubleday, bei Collins und anderen Verlagen, die nun sein dickes seltsames Werk lasen. Er hatte sich einen Stapel Bücher zum Lesen oder Wiederlesen mitgebracht, um nicht an die bevorstehende Auktion denken zu müssen. Was deren Ausgang betraf, war er doch ziemlich

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