Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
stehen, so trieb es sie fort von hier, aus seiner Nähe, die ihr doch über alles teuer war. Das ist ein alter Widerstreit der Verliebten: Suchen und Flucht der Nähe. Uralt ist auch die Lügenrede von ehrlichen Dingen mit unehrlichen Augen, die sich suchen und fliehen, und mit verzerrtem Munde. Die Furcht, er möchte wissen, daß sie bei Korn und Besen nur eines im Sinne hatte: wie sie ihm könnte die Hand an die Stirne legen und ihn küssen in begehrender Mütterlichkeit; der schreckhafte Wunsch zugleich, er möchte es wissen und sie nicht verachten deswegen, sondern ihn teilen, den Wunsch; dies und ihre große Unsicherheit in Dingen von Futter und Nahrung, die nun einmal den Gegenstand des Gespräches bildeten, das für sie nur ein Liebes- und Lügengespräch war (aber wie soll man lügen, wenn man das Vorgewendete, den Scheingegenstand, nicht beherrscht und hilflos darin herumzustümpern verurteilt ist!) – all dieses beschämte und entnervte sie unbeschreiblich, machte ihr heiß und kalt und jagte sie in panische Flucht.
Ihre zuckenden Füße wollten fort, während ihr Herz am Platze haftete – nach uralter Verworrenheit der Verliebten. Sie zog den Mantel fester um die Schultern zusammen und sprach mit gewürgter Stimme:
»Wir müssen’s fortsetzen, Vorsteher, zu anderer Stunde und an anderem Ort. Der Abend sinkt, und mir schien soeben, als ob ich leicht gebebt hätte vor Frische.« (Sie neigte wirklich zu einem fliegenden Beben, konnte nicht hoffen, es ganz zu verbergen, und mußte trachten, es mit äußeren Gründen zu rechtfertigen.) »Du hast mein Versprechen, daß ich mit mir zu Rate gehen will wegen der Neuerung, und ich gewähre dir’s, daß du der Herrin nächstens die Sache vorträgst aufs neue, wenn du dich allzu allein damit fühlen solltest in deiner Jugend ...« Dies letzte Wort hätte sie nicht zu sagen versuchen sollen; es erstickte ihr in der Kehle, denn nur von ihm noch war mit diesem Worte die Rede und von nichts anderem; es war ein gleichsinnigstärkeres Wort für jenes »Du«, von dem das Lügengespräch durchzogen gewesen war und das seine Wahrheit ausgemacht hatte, das Wort seines Zaubers, das Wort ihres mütterlichen Verlangens, beladen mit Zärtlichkeit und Schmerz, so daß es sie überwältigte und in Flüstern erstarb. »Sei heil«, flüsterte sie noch und flüchtete vorwärts ihren Mädchen voran, an dem ehrfürchtig Grüßenden vorbei, mit nachgiebigen Knien.
Nicht genug wundern kann man sich über die Liebesschwäche und sich über ihre Seltsamkeit nicht genug aufhalten, wenn man sie nicht als abgeschmackte Alltäglichkeit, sondern als die Neuigkeit, Erst- und Einmaligkeit, die sie bis auf den heutigen Tag jedesmal wieder ist, frisch ins Auge faßt. Eine so große Dame, vornehm, überlegen, hochmütig und weltgewandt, kühl eingeschlossen bisher in das Ichgefühl ihres Gottesdünkels, – und nun auf einmal dem Du verfallen, einem von ihrem Standpunkt gesehen ausgemacht unwürdigen Du, aber ihm verfallen bereits in solcher Schwäche und bis zu solcher Auflösung ihres Herrinnentums, daß sie es schon kaum noch zustande brachte, wenigstens die Rolle festzuhalten der Liebesherrin und der herausfordernden Unternehmerin des Gefühls, sondern sich bereits Sklavin wußte des Sklaven-Du, da sie von ihm hinwegfloh mit mürben Knien, blind, bebend, mit flatternden Gedanken, flatternde Worte murmelnd, ohne Bedacht auf die Zofen, die sie doch mit Bedacht und aus Stolz zum Stelldichein mitgenommen:
»Verloren, verloren, verraten, verraten, ich bin verloren, ich habe mich ihm verraten, er hat alles gemerkt, die Lüge meiner Augen, meine zappelnden Füße und daß ich bebte, er hat alles gesehn, er verachtet mich, es ist aus, ich muß sterben. Mehr Durra sollte man bauen, die Wurzelschößlinge schneiden, die Rispen sind gut für Besen. Was hab’ ich erwidert? Verräterisches Gestammel, er hat meiner gelacht, entsetzlich, ich muß mich töten. War ich wenigstens schön? Wenn ich schön war im Licht, mag alles nur halb so schlimm sein, und ich muß mich nicht töten. Das goldene Erz seiner Schultern ... O Amun in deiner Kapelle! ›Gebieterin meines Hauptes und Herzens, meiner Hände und Füße‹ ... O Osarsiph! Sprich nicht so zu mir mit deinem Mund, indes du dich lustig machst in deinem Herzen über mein Stammeln und über die Mürbheit meiner Knie! Ich hoffe, ich hoffe ... ob auch alles verloren ist und ich sterben muß nach diesem Unglück, so hoffe ich doch und verzweifle nicht, denn
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