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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Ausfahrten das eine und andere Mal erblickt: das fein gebogene Näschen, die aufgeworfenen, von Furchen bitterer Weltkunde eingefaßten Lippen, die gewölbten, mit dem Pinsel nachgezogenen Brauen über den kleinen, schwarz glänzenden, mit kühler Aufmerksamkeit blickenden Augen. Die Mutter trug nicht die goldene Geierhaube, in der Jaakobs Sohn sie im Öffentlichen gesehen. Ihr gewiß schon ergrautes Haar – denn sie mußte ihres Alters gegen Ende Fünfzig sein – war in ein silbriges Beuteltuch gehüllt, das den goldenen Streifen einer Stirn- und Schläfenspange freiließ, und von dessen Scheitel zwei ebenfalls goldene Königsschlangen – gleich zwei, als hätte sie auch die ihres in den Gott eingegangenen Gemahles übernommen – sich herabringelten und sich vor der Stirn aufbäumten. Runde Scheiben aus dem gleichen bunten Edelgestein, aus dem auch ihr Halskragen gefertigt war, schmückten ihre Ohren. Die kleine, energische Gestalt saß sehr gerade, sehr aufgerichtet und wohlgeordnet, sozusagen im alten, hieratischen Stil, die Oberarme auf den Lehnen des Sessels, die Füßchen auf dem Hochschemel geschlossen nebeneinander gestellt. Ihre klugen Augen begegneten denen des verehrend Eintretenden, wandten sich aber, nachdem sie flüchtig an dessen Gestalt heruntergeglitten waren, in begreiflicher und selbst gebotener Gleichgültigkeit gleich wieder ihrem Sohne zu, wobei die lebensbitteren Falten um ihren vortretenden Mund sich zu einem spöttischen Lächeln formten, der knabenhaft aufgeregten Neugier wegen, mit der dieser dem Empfohlenen und Erwarteten entgegensah.
    Der junge König über Ägyptenland saß zur Linken vor der Bilderwand auf einem löwenfüßigen, mit Kissen reichlich und weichlich ausgestatteten Armstuhl mit schräger Lehne, von der er den Rücken weggehoben hatte, indem er, lebhaft vorgebeugt, die Füße unter den Sitz geschoben, die Armlehnen mit seinen schlanken, skarabäusgeschmückten Händen umfaßt hielt. Man muß hinzufügen, daß diese wie zum Aufspringen bereite Haltung gespannter Aufmerksamkeit, mit der Amenhotep, rechtshin gewandt, die grau verschleierten Augen möglichst weit geöffnet, den eingetroffenen Deuter seiner Träume betrachtete, nicht sogleich voll ausgebildet war, sondern sich im Lauf einer Minute – so lange dauerte dies – stufen- und ruckweise entwickelte und auf den Grad steigerte, daß Pharao sich schließlich wirklich etwas vom Sessel erhoben und sein Schwergewicht ganz den klammernden Händen übergeben hatte, deren Knöchelspiel die Anspannung deutlich zeigte. Dabei glitt ein Gegenstand, der ihm im Schoße gelegen, eine Art von Saitenspiel, mit leise schollerndem und klingendem Geräusch zu Boden, – schnell aufgenommen und ihm wieder dargereicht von einem der Männer, die vor ihm standen, der Bildmeister einem, die er belehrte. Der Mann mußte es ihm eine Weile hinhalten, bis er, die Augen schließend, es annahm und sich in die Kissen seines Stuhles zurücksinken ließ, indem er die Haltung wieder einnahm, in der er offenbar vorher sich mit den Meistern besprochen hatte: eine außerordentlich lässige, weiche und überbequeme Haltung, denn der Sitz seines Stuhles war ausgehöhlt für ein Kissen, das aber zu nachgiebig war, als daß Pharao nicht darin hätte versinken sollen, und so saß er nicht nur sehr schräg, sondern auch sehr tief, ließ eine Hand schlaff über die Armlehne hängen, indes er mit dem Daumen der anderen leise die Saiten der wunderlichen kleinen Hohlharfe in seinem Schoße rührte, und schlug die hochgezogenen Knie im Linnen übereinander, sodaß sein einer Fuß in ziemlicher Höhe wippte. Die goldene Stange der Sandale ging zwischen der großen und zweiten Zehe durch.
    Das Kind der Höhle
    Nefer-Cheperu-Rê-Amenhotep war damals so alt, wie Joseph, der nun als ein Dreißigjähriger vor ihm stand, gewesen war, als er »ein Hirte des Viehs ward mit seinen Brüdern« und den Vater ums bunte Kleid beschwatzte, nämlich siebzehn. Doch schien er älter, nicht nur, weil in seiner Zone die Menschen rascher reifen, auch nicht allein durch die Anfälligkeit seiner Gesundheit, sondern auch kraft seiner frühen Verpflichtung auf das Weltganze, vielfältiger Eindrücke, die, aus allen Himmelsgegenden kommend, seine Seele bestürmt hatten, und seiner eifrig-schwärmerischen Bemühtheit um das Göttliche. Bei der Beschreibung seines Gesichts unter der runden blauen Perücke mit Königsschlange, die er heute über der Leinenkappe trug, dürfen die Jahrtausende

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