Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
das Leben an die Weissagung gebunden; aber innerhalb der Gebundenheit bewegt es sich frei und auf eine Weise, daß es fast immer eine Frage des guten Willens ist, ob man die Weissagung als erfüllt betrachten will oder nicht. Wir aber haben es mit einer Zeit und mit Leuten zu tun, die allerwege von dem besten Willen beseelt sind, die Erfüllung auch im Ungenauen anzuerkennen und, eben um der Erfüllung willen, fünf gerade sein zu lassen, – wenn die Redeweise am Platze ist in einem Falle, wo es eher darauf ankam, auch schon fünf für eine etwas höhere Ungerade, nämlich sieben, gelten zu lassen, was nicht schwerfiel, da fünf eine mindestens so angesehene Zahl ist wie sieben und kein verständiger Mensch auf den Gedanken kam, in dem Eintreten von fünf für sieben auch nur eine Ungenauigkeit zu erblicken.
In der Tat und in Wirklichkeit sah die geweissagte Sieben eher so aus wie Fünf. Aber weder auf die eine noch auf die andere Zahl legte das bewegliche Leben sich klar und unbedingt fest, da nämlich zudem die fetten und die mageren Jahre nicht mit derselben Akkuratesse, nicht so eindeutig-unstrittig gegen einander abgesetzt aus dem Schoße stiegen, wie Pharao’s fette und magere Kühe im Traum. Die fetten und mageren Jahre, die kamen, waren lebendigerweise nicht alle gleich fett und mager. Unter den fetten war eines und das andere, das man gewiß nicht als mager, aber bei einiger kritischer Anlage allenfalls nur als mittelfett hätte bezeichnen können. Die mageren waren zwar alle mager genug, ihrer fünf gewiß, wenn nicht sieben; aber ein paar liefen mit unter, die den letzten Grad der Erbärmlichkeit nicht erreichten, sondern sich halbwegs dem Erträglichen näherten, so daß man sie, hätte die Weissagung nicht vorgelegen, vielleicht garnicht als Spreu- und Fluchjahre erkannt hätte. So aber zählte man sie aus gutem Willen mit.
Spricht dies alles gegen die Erfüllung? Das tut es nicht. Die Erfüllung ist unanfechtbar, denn die Tatsachen liegen ja vor – die Tatsachen unserer Geschichte, aus denen sie besteht, ohne die sie nicht in der Welt wäre und ohne die nach der Entrückung und der Erhöhung das Nachkommenlassen nicht hätte stattfinden können. Es ging wahrhaftig fett und mager genug zu in Ägyptenland und den umliegenden Gebieten – Jahre lang fett und Jahre lang mehr oder weniger mager, und Joseph hatte volle Gelegenheit, die Fülle zu züchtigen und dem schreienden Mangel auszuteilen, indem er sich als Utnapischtim-Atrachasis, als Noah, der Hochgescheite, erwies, als Mann der Voraussicht und der Vorsorge, dessen Arche sich auf der Flut schaukelt. In Diener-Treue zum Höchsten tat er es, als sein Minister, und vergoldete Pharao über und über durch seine Geschäfte.
Die Vergoldung
Vorläufig aber nun erst einmal wurde er selbst vergoldet, – denn »ein Mann von Gold werden« war die Redensart der Kinder Ägyptens gerade für das, was ihm geschah, als er nach Pharao’s schönem Befehl zusammen mit diesem Gott, mit der Großen Mutter, der Süßen Gemahlin und den Prinzessinnen Nezemmut und Baketatôn auf der königlichen Barke »Stern beider Länder« unter dem Jauchzen der Ufer die Reise stromaufwärts nach Wêset, der Hauptstadt, zurückgelegt hatte, wo er mit der Sonnenfamilie seinen Einzug hielt in den Palast des Westens, Merima’t, gelegen in seinen Gärten und mit dem See seiner Gärten, zu Füßen der farbigen Wüstenberge. Da bekam er Räumlichkeit, Dienerschaft, Kleider und alles Angenehme, und schon den zweiten Tag wurde die schöne Förmlichkeit der Investitur und Vergoldung an ihm vollzogen, eingeleitet von einer feierlichen Ausfahrt des Hofes, bei der der Verkaufte tatsächlich in Pharao’s zweitem Wagen fuhr, gleich hinter dem König selbst, mit umgeben von dessen syrisch-nubischer Leibwache und seinen Wedelträgern, getrennt vom Gefährt des Gottes nur durch einen Trupp von Läufern, die »Abrekh!« riefen, »gib Obacht!« und »Groß-Wesir!« und: »Sehet des Landes Vater!« – damit dem Volk in den Straßen bekannt wurde, was vor sich ging, und wer das war in dem zweiten Wagen. Es sah und begriff soviel, daß Pharao da Einen sehr groß gemacht hatte, wozu er wohl seine Gründe gehabt haben mußte, mochte es auch nur der Grund seiner schönen Laune und Willkür gewesen sein, was völlig genug war. Da außerdem mit einer solchen Erhöhung und Einsetzung die Idee des Anbruchs neuer Zeit und des Besserwerdens aller Dinge irgendwie immer verbunden war, so jubelten Wêsets
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