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Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)

Titel: Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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des Gesegneten Groß-Schnur, sozusagen; vor allem aber seine Verehrerin und seine Schülerin in der Welt- und Gotteskunde, die an seinen Lippen hing und in sein feierliches Antlitz aufblickte mit solcher Andacht, daß auch das Herz des verwaisten Greises sich ihr ganz erschloß und er sogar ein wenig verliebt in sie war.
    Denn Thamar’s Wesen war, auf eine sie selbst beschwerende Weise, aus Strenge und geistlicher Strebsamkeit (der wir noch einen stärkeren Namen werden geben müssen) und dem seelisch-körperlichen Geheimnis astartischer Anziehungskraft eigentümlich gemischt, – und man weiß, zu wie hohen Jahren die Empfänglichkeit für diese es in einem weich und würdig auf sein Gefühl bedachten Gemüte bringen kann.
    Jaakobs persönliche Majestät hatte sich seit dem Tode Josephs, will sagen durch dies zerreißende und zunächst ganz unannehmbar scheinende Erlebnis nur noch erhöht. Sobald einmal Gewöhnung Platz gegriffen, sein Hadern mit Gott sich erschöpft, die grausame Verfügung dieses Gottes Eingang gefunden hatte in seine anfangs krampfhaft dagegen versperrte Natur, war sie zu einer Bereicherung seines Lebens, einem Beitrag zu dessen Geschichtenschwere geworden, der sein Sinnen – wenn er in Sinnen verfiel – noch ausdrucksvoller, noch malerisch-vollkommener zum Sinnen machte, als es schon immer gewesen war, sodaß es den Leuten heilig und scheu dabei zu Mute wurde und sie einander zuraunten: »Seht, Israel besinnt seine Geschichten!« Ausdruck macht Eindruck, das ist nun so. Die beiden haben immer zusammengehört, und immer wohl hat es jener auf diesen ein wenig abgesehen, wobei nichts zu lachen ist, wenn es sich nicht um hohle Gaukelei handelt, sondern wirkliche Geschichtenschwere obwaltet und gelebtes Leben hinter dem Ausdruck steht. Dann ist höchstens ein ehrerbietiges Lächeln am Platze.
    Thamar, das Landeskind, kannte auch dieses Lächeln nicht. Sie war tief beeindruckt von Jaakobs Großartigkeit, sobald sie in seinen Kreis trat, was nicht erst durch Juda, Lea’s Vierten, und durch seine Söhne geschah, von denen zweie sie nacheinander heirateten. Dies ist bekannt nebst seinen unheimlichen und halb rätselhaften Begleitumständen, dem Verderben der beiden Judasöhne. Aber nicht bekannt, da die Chronik es übergeht, ist das Verhältnis Thamars zu Jaakob, obgleich es doch die unentbehrliche Voraussetzung zu der Episode und merkwürdigen Randhandlung unserer Geschichte ist, die wir hier einschalten, – nicht ohne uns dabei an die Tatsache gemahnt zu fühlen, daß diese Geschichte, die man wohl verführerisch nennen kann, da sie uns zu so genauer Ausführlichkeit verführt, die Geschichte Josephs und seiner Brüder, selbst nur eine anmutige Einschaltung ist in ein Epos ungleich gewaltigerer Maße.
    Hatte Thamar, das Landeskind, die Tochter schlichter Baals-Ackerbürger, die in der Episode einer Episode lebte, eine Vorstellung von dieser Tatsache? Wir antworten: Allerdings hatte sie eine solche. Ihr zugleich anstößiges und großartiges, von tiefem Ernst getragenes Gebaren liefert den Beweis dafür. Nicht umsonst trat uns wiederholt und mit einem gewissen Eigensinn das Wort »Einschaltung« auf die Lippen. Es ist die Losung der Stunde. Es war Thamars Wort und ihre Losung. Sich selbst wollte sie einschalten, und tat es mit erstaunlicher Entschlossenheit, in die große Geschichte, das weitläufigste Geschehen, von dem sie durch Jaakob Kunde erhalten, und von dem ausgeschaltet zu werden sie sich um keinen Preis gefallen ließ. Fiel nicht auch schon das Wort »Verführung« uns ein? Es wußte, warum. Es ist ein Losungswort ebenfalls. Denn durch Verführung schaltete Thamar sich ein in die große Geschichte, von der diese hier nur eine Einschaltung ist; die Bestrickende spielte sie und hurte am Wege, um nur nicht ausgeschaltet zu werden, und erniedrigte sich rücksichtslos, um sich zu erhöhen ... Wie geschah das?
    Wann zuerst, durch welchen nüchternen Zufall nun immer, Thamar Eingang bei Jaakob, dem Gottesfreunde, fand und zu ihm in andächtige Beziehung trat, – niemand weiß das genau; es mag sein, daß es schon vor Josephs Tode geschah, und bereits nicht ohne Jaakobs Zutun wurde sie in die Sippe aufgenommen und Juda’s Erstem, dem jungen ’Er, zum Weibe gegeben. Innigkeit aber gewann das Verhältnis zwischen dem Alten und ihr auf jeden Fall erst und wurde zum täglichen Umgang nach dem gräßlichen Schlag und Jaakobs langsamer und widerstrebender Erholung von ihm, als sein beraubtes Herz

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