Joseph und seine Brüder: Vier Romane in einem Band (Fischer Klassik Plus) (German Edition)
freilich gar keine Hölle gibt, weder diese noch sonst eine. Die Hölle ist für die Reinen; das ist das Gesetz der moralischen Welt. Denn für die Sünder ist sie, und sündigen kann man nur gegen seine Reinheit. Ist man ein Vieh, so kann man nicht sündigen und spürt von keiner Hölle nichts. So ist’s eingerichtet, und ist die Hölle ganz gewiß nur von besseren Leuten bewohnt, was nicht gerecht ist, aber was ist unsere Gerechtigkeit!
Die Geschichte von Juda’s Ehe und der seiner Söhne und ihrem Verderben darin ist äußerst seltsam und unheimlich und eigentlich undeutlich, weshalb nicht bloßen Zartgefühls wegen nur immer mit halben Worten davon geredet werden kann. Wir wissen, daß Lea’s Vierter sich früh vermählt hatte, – der Schritt war aus Reinheitsliebe geschehen, daß er sich binde, sich beschränke und Frieden fände; aber vergebens; die Rechnung war ohne die Herrin gemacht und ihren Speer. Sein Weib, deren Name nicht überliefert ist, – vielleicht wurde sie wenig bei Namen genannt, sie war einfach Schua’s Tochter, jenes kanaanitischen Mannes, dessen Bekanntschaft Juda durch seinen Freund und Oberhirten Hira, vom Dorfe Odollam, gemacht hatte: – dieses sein Weib denn hatte ihn viel zu beweinen, ihm viel zu vergeben, und etwas leichter wurde es ihr, weil sie immerhin dreimal Mutterglück kostete, – ein kurzes Mutterglück, denn die Buben, die sie dem Juda schenkte, waren nur anfangs nett, dann wurden sie übel: am wenigsten noch der Jüngste, Shelah, in einigem Abstand von den ersten geboren; er war nur kränklich, aber die älteren, ’Er und Onan, waren zugleich auch übel, kränklich auf üble Art und übel auf kränkliche, dabei hübsch und dazu frech, kurzum ein Leidwesen in Israel.
Solche Buben, wie diese beiden, kränklich und ausgepicht, dabei aber nett, sind eine Zeitwidrigkeit an solcher Stelle und eine Voreiligkeit der Natur, die einen Augenblick nicht ganz bei sich ist und vergißt, wo sie hält. ’Er und Onan hätten ins Alte und Späte gehört, in eine Greisenwelt spöttischer Erben, sagen wir: ins äffische Ägyptenland. So nahe dem Ursprung eines ins Weite gerichteten Werdens waren sie fehl am Ort, fehl in der Zeit und mußten vertilgt werden. Das hätte Juda, ihr Vater, begreifen und niemanden beschuldigen sollen, als etwa sich selbst, der sie nun einmal erzeugt hatte. Er schob aber die Schuld an ihrer Übelkeit auf Schua’s Tochter, ihre Mutter, und nur insofern auf sich, als er meinte, eine Narrheit begangen zu haben, da er eine geborene Baalsnärrin zum Weibe nahm. Und ihre Ausrottung schob er auf das Weib, dem er sie einen nach dem anderen zur Ehe gab, und die er bezichtigte, eine Ischtar-Figur zu sein, die ihre Liebsten vernichtet, daß sie an ihrer Liebe sterben. Das war ungerecht: gegen sein Weib, das ihm aus Kummer über dies alles bald dahinstarb, und ungerecht sicher in hohem Maße auch gegen Thamar.
Thamar erlernt die Welt
Thamar, sie war’s. Sie saß zu Jaakobs Füßen, seit langem schon, tief beeindruckt von seinem Ausdruck, und lauschte der Lehre Israels. Nie lehnte sie sich an, sie saß sehr aufrecht, auf einem Schemel, auf einer Brunnenstufe, einem Wurzelstrange des Unterweisungsbaumes, mit hohlem Rücken, gestreckten Halses, zwei Falten der Anstrengung zwischen ihren samtenen Brauen. Sie stammte aus einem zum Umkreise Hebrons gehörigen Flecken an sonniger Bergschräge, dessen Leute sich von Weinbau und etwas Viehzucht nährten. Dort stand das Haus ihrer Eltern, die waren Klein-Ackerbürger und schickten die Dirne zu Jaakob mit Sangen und frischen Käsen, auch Linsen und Grütze, die er mit Kupfer gekauft hatte. So kam sie zu ihm und fand erstmals ihren Weg zu ihm, aus plattem Anlaß, in Wahrheit aber geleitet von höherem Drange.
Sie war schön auf ihre Art, nämlich nicht hübsch und schön, sondern schön auf eine strenge und verbietende Art, also, daß sie über ihre eigene Schönheit erzürnt zu sein schien, und das mit Recht, denn etwas Behexendes war daran, was den Mannsbildern nicht Ruhe ließ, und gegen solche Unruhe eben hatte sie die Furchen zwischen ihre Brauen gepflanzt. Sie war groß und fast mager, von einer Magerkeit aber, die mehr Unruhe hervorrief, als noch so reichliche Fleischesform, sodaß die Unruhe eigentlich nicht des Fleisches war, sondern dämonisch genannt werden mußte. Sie hatte bewundernswert schöne und eindringlich sprechende braune Augen, fast kreisrunde Nasenlöcher und einen stolzen Mund.
Was Wunder, daß Jaakob
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