Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
daß Clemens des Kaisers Göttlichkeit schlechthin geleugnet hätte, er fand sich sogar bereit, dem Bild des Kaisers zu opfern, wie das Gesetz es befahl; allein Domitian spürte durch die unnahbare, lässige Höflichkeit des Prinzen hindurch, wie wenig dieser ihn achtete. Es war dem Domitian gleichgültig, wenn zum Beispiel diese armselige Domitilla, des Clemens Frau, ihn mit ihren wilden und trockenen Augen anfunkelte, es amüsierte ihn mehr, als daß es ihn verdroß. Des Clemens Mißachtung aber kränkte ihn. Vor allem wohl deshalb, weil just dieser Clemens der Vater der Prinzen Constans und Petron war, »der kleinen Löwen«. Die Zwillinge waren jetzt elf Jahre, sie gefielen dem Domitian immer besser, je größer sie wurden, seit Julias Tod war er mehr und mehr entschlossen, sie zu adoptieren. Was ihn an ihnen störte, war lediglich dieser Clemens. Alles an dem phlegmatischen Manne reizte ihn, er konnte sich nicht genugtun, ihm ein faules, lahmes Wesen vorzuwerfen, er fand immer neue tadelnde Worte für ihn, nannte ihn bequem, bleiern, bummelig, dumm, energielos, fahrlässig, faul, kaltblütig, lahm, matt, müßig, saumselig, schlaff, träge, indolent. Doch eben an dieser Indolenz prallten alle Beschimpfungen des Kaisers ab. Clemens kam, wenn ihn Domitian zu sich entbot, er hörte sich des Kaisers Tadel höflich an, versprach Besserung, ging zurück auf sein Landgut und blieb der alte. Domitian hätte dem Vater seiner kleinen Löwen eine Verschwörung gegen sein Leben verziehen; diesen passiven Widerstand ertrug er nicht.
Clemens selber beschäftigte sich viel weniger mit dem Kaiser als dieser sich mit ihm. Der Prinz war kein scharfer Denker. Mit seinen vierzig Jahren wirkte er noch sehr jugendlich, die zarte Haut, die blaßblauen Augen unter dem hellen, aschblonden Haar verstärkten den Eindruck des Knabenhaften, Unentwickelten. Doch wenn der Prinz auch langsam von Urteil war, seicht war er nicht. Was er einmal begriffen hatte, das wälzte er in seinem Innern um und um und betrachtete es so lange, bis es sich tief in ihn eingesenkt und sich tief mit seinem Wesen verbunden hatte.
Was ihm von den Lehren der Christen den stärksten Eindruck machte, das waren die dunkeln Weissagungen der Sibyllen. Die Götter, die jetzt als Götter verehrt würden, hieß es in diesen vieldeutigen Versen, seien nichts als die abgeschiedenen Geister alter Könige und Helden. Doch die Herrschaft dieser längst Toten gehe zu Ende. Auch Rom verehre solche Toten, und auch Rom werde deshalb fallen. Seine Herrschaft werde abgelöst werden von der Herrschaft des Messias. Noch sei Roms Arm stark, stark jede Sehne und jeder Knochen, aber das Herz dieses starken Körpers sterbe ab, versteinere und könne den Gliedern kein Leben mehr einhauchen. So machtvoll dieses Wesen scheine, es gehe von ihm eine tiefe Trauer aus. Seine Ausdünstung lähme die ganze Welt, keine Ruhe und keine Freude sei mehr in dieser Welt, befriedigte Lust befriedige nicht mehr, eine tiefe Sehnsucht nach anderem fülle alles Lebendige.
Gedanken und Gefühle solcher Art beschäftigten das einfache Gemüt des Prinzen. Er war von Natur freundlich, ja heiter. Doch er sah das, was auf dem Palatin und im Senat geschah, unter dem Aspekt der sibyllinischen Orakel, es schien ihm sinnlos und tot, und dieses Tote lastete auf der ganzen Welt und erdrückte Leben und Glück. Daß er ein Teil dieses Toten sein mußte, machte ihn melancholisch. Immer tiefer verstrickte er sich in die Welt Jakobs des Wundertäters und der Sibyllen, immer schwerer fiel es ihm, seinen Repräsentationspflichten am Hofe und in der Stadt zu genügen, immer mehr sehnte er sich danach, sich für immer vom Palatin zurückziehen zu dürfen und still auf seinem Landgut zu leben mit Domitilla und den Kindern und mit den Büchern und Lehren des östlichen Glaubens.
So also sah es in dem Prinzen Clemens aus um die Zeit, da Domitian, gestärkt durch seinen Sieg über den Senat, sich entschlossen hatte, den Gott Jahve nicht weiter in sein Bereich vordringen zu lassen.
Fürs erste wurde des Clemens Freund und Lehrer von ihm fortgerissen, Jakob von Sekanja. Prinz Clemens hatte viele Freunde und Bekannte in die Verbannung gehen sehen, aber nie hatte er es erlebt, daß ein Mann das Verbannungsurteil mit so stiller Zuversicht auf sich nahm wie Jakob. Das Leben in dem kleinen Ort Judäas, den er fortan nicht wird verlassen dürfen, wird nicht leicht sein. Er wird dort leben müssen als einziger Christ
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