Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
gekostet, diese Via Domitiana, aber nun sei sie eben auch da und werde heute und für alle Zukunft vielen Millionen Menschen das Leben leichter machen.
»Ich gratuliere Ihnen«, antwortete Clemens. »Aber«, fuhr er nachdenklich fort, ohne Spott, »glauben Sie nicht, daß es wichtiger wäre, den Millionen einen leichteren und schnelleren Weg zu Gott zu schaffen als nach Puteoli?«
Sich rötend, mit zornigen Augen, beschaute Domitian den Vetter. Schon war er im Begriff, ihn niederzuschreien und niederzublitzen, aber dann erinnerte er sich, daß er im Schlafrock war, gerade weil er sich vorgenommen hatte, nicht Jupiter gleich zu sein, sondern sehr menschlich. Auch hatte Clemens zweifellos gar nicht die Absicht gehabt, sich über ihn lustig zu machen, sondern es war nichts als die gewohnte Stumpfheit und Blödheit, die ihn den dummen Satz hatte sprechen lassen. Domitian also bezwang sich. Es ging ihm ja nicht etwa darum, den Vetter zu ducken; was er von ihm wollte, das war, daß Clemens ihm zugebe, er sei im Recht. Denn während der Kaiser früher stolz darauf gewesen war, daß ihm allein Erkenntnis zuteil geworden, und während er diese Vereinzelung als eine Auszeichnung empfunden hatte, mit der die Gottheit ihn begnadet, bedrückte ihn jetzt die Verständnislosigkeit, die er rings um sich fand. War es wirklich unmöglich, auch die andern des Lichtes teilhaftig werden zu lassen? War es wirklich unmöglich, zum Beispiel diesen Clemens zu überzeugen? Domitian bezwang sich also, erwiderte auf die dreiste Frage des Vetters nur: »Lassen Sie doch die albernen Witze, mein Clemens!« und ging zu einem andern Thema über.
Bequem auf dem Sofa, halb liegend, halb sitzend, begann er: »Ich habe mir sagen lassen, jene östlichen Philosophen, mit denen Sie sich in letzter Zeit soviel abgeben, diese jüdischen, oder genauer wohl diese christlichen Weisheitslehrer, wendeten sich vor allem an den Pöbel; sie bemühten sich, dem Niedrigen und Geschlagenen zu helfen, ihre Lehren gelten der Masse, den geistig Armen, den Millionen. Ist das so?« – »In einem gewissen Sinne ja«, antwortete Clemens. »Vielleicht spricht mich gerade deshalb diese Lehre an.« Der Kaiser unterdrückte seinen Ärger über diese unziemliche Anmerkung, blieb liegen und fuhr fort: »Nun, ich habe unter meinen Senatoren einige beseitigt, man liebt es, ihre Namen aufzuzählen. Aber es sind ihrer nicht viele, es sind an die dreißig, mehr als dreißig kommen nicht heraus, wenn man mir den Untergang noch so vieler zur Last legt, es ist nicht die Zahl der Namen, es ist mehr ihr alter Adel, der die Liste meiner ›Opfer‹ gewichtig erscheinen läßt. Andernteils kann niemand bestreiten, daß ich von dem konfiszierten Vermögen dieser ›Opfer‹ das weitaus meiste so verwendet habe, daß Hunderttausende, ja Millionen sehr viel besser davon leben konnten. Ich habe mit diesem Geld Hungersnöte und Seuchen verhindert oder doch gemindert, desgleichen Elend und Entbehrung.« Er betrachtete angelegentlich seine Hände und schloß langsam: »Es wären ohne mein Regime Hunderttausende, vielleicht Millionen nicht mehr am Leben, und andere Hunderttausende wären überhaupt nicht geboren worden ohne meine Maßnahmen, die nur möglich waren durch die Beseitigung der dreißig.«
»Und?« fragte Clemens. »Nun denn, merken Sie gut auf, mein Clemens!« antwortete der Kaiser. »Ihr, die ihr euch das Glück der Niedrigen, das Glück der Massen zum Ziele setzt, ihr müßtet dann doch Verständnis für mich haben, ihr müßtet mich ehren und lieben. Tut ihr das?« – »Vielleicht«, erwiderte freundlich, fast demütig Clemens, »vielleicht verstehen wir unter Glück und Leben etwas anderes als Sie, mein Domitian. Wir verstehen darunter ein Leben zur Gottheit hin, eine zuversichtliche Vorbereitung auf das Jenseits.«
Jetzt aber war es mit Domitians Gelassenheit zu Ende. »Das Jenseits«, höhnte er, »der Hades. ›Lieber bin ich ein Tagelöhner oben auf Erden / Als im Hades der Herr der abgeschiedenen Schatten‹«, zitierte er den Achilles des Homer. »Der Hades, das Jenseits«, ereiferte er sich weiter. »Das ist es ja, was ich an euch tadle. Ihr wagt es nicht, das Leben recht anzuschauen, es mit ihm aufzunehmen, ihr faselt von einem Jenseits, ihr drückt euch, ihr lauft davon. Ihr glaubt nicht an euch selber und an keinen andern und nicht an den Bestand dessen, was man schafft. Welche Feigheit, welche Erbärmlichkeit, wenn ein Flavier zweifelt am Bestand
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