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Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.

Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.

Titel: Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lion Feuchtwanger
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oder auch nur wie Simeon. Warum, nachdem sein Plan, den Paulus zu seinem Fortsetzer und Erfüller heranzuziehen, so schlimm mißglückt ist, warum glaubt er, daß es ihm mit diesem seinem Matthias glücken muß? Warum wirft er seine ganze Hoffnung und seine ganze Liebe auf ihn?
      Warum? So fragt auch dieser Matthias immerzu und sehr häufig dann, wenn kein Sterblicher auf diese Frage antworten kann. Er, Josef, muß in solchen Fällen den Knaben mit einer vagen Antwort abspeisen, oder er muß ihm geradezu bekennen: »Ich weiß es nicht.« Dem Matthias geht es mit ihm, wie es ihm seinerzeit selber so oft auf der Hochschule in Jerusalem gegangen ist. Wenn da ein Problem aufgetaucht ist, über das sich die Doktoren schon seit Jahrzehnten, vielleicht seit Jahrhunderten gestritten hatten, wie oft dann und gerade, wenn es am spannendsten und verwickeltsten wurde, hatte er sich mit der Antwort begnügen müssen: »Kaschja«; das aber wollte besagen: Problem, unentschieden, nicht schlüssig, vorläufig nicht zu beantworten.
      Rascher als man geglaubt hatte, war man in Rom. Als Josef gebadet hatte, war es Nachmittag, zwei Stunden vor Sonnenuntergang, noch viel zu früh zur Mahlzeit. So kurz seine Abwesenheit gedauert hatte, Josef fühlte sich wie ein Heimkehrer nach langer Reise, er beschloß, die Zeit bis zum Essen auf einen Gang durch die Stadt zu verwenden.
      Vergnügt schlenderte er durch die belebten Straßen der hellen, in dem starken Herbstlicht schimmernden Stadt. Nach dem langen Ritt tat es dem Josef wohl, seine Beine wieder zu spüren. Er fühlte sich leicht und frei wie seit Jahren nicht mehr. Das Werk war vollendet, keine Pflicht wartete auf ihn, keine Frau mit stiller, unausgesprochener Mahnung. Er war ein anderer Mann, die Jahre drückten ihn nicht, ihm war, als hätte er eine neue Haut und ein neues Herz. Andere Wege als seit Jahren gingen seine Gedanken. Mit andern Augen sah er auf dieses ihm doch so vertraute Rom.
      Da war er die ganzen Jahre hindurch in diesem Rom gewesen, täglich, stündlich hatte er diese Straßen, Tempel, Häuser um sich gehabt, und er hatte gar nicht wahrgenommen, wie ungeheuer sich das alles gewandelt hat, seitdem er es zum erstenmal gesehen. Wie er die Stadt damals betreten hat, das ist unter Nero gewesen, kurz nach dem Brand. Damals war die Stadt nicht so planvoll geordnet, nicht so sauber, sie war schlampiger gewesen, dafür aber auch liberaler, vielfältiger, vergnügter. Jetzt war sie römischer als damals, die Flavier, vor allem dieser Domitian, hatten sie römischer gemacht. Sie hatte mehr Disziplin jetzt, die Stadt. Die Buden der Verkäufer füllten nicht mehr die Hälfte der Straßen, die Sänftenvermieter und die Hausierer behelligten einen weniger, auch lief man nicht mehr Gefahr, über Unratkübel zu stolpern oder von einem hohen Stockwerk aus mit Kot übergossen zu werden. Der Geist des Norban, der Geist des Polizeiministers, beherrschte die Stadt. Groß und mächtig hob sie sich, frech und riesig prunkten ihre Häuser, Vergangenes und Modernes waren mit starker Hand ineinandergefügt, Macht und Reichtum waren zur Schau gestellt, die Stadt zeigte, daß sie die Welt beherrschte. Aber sie zeigte es nicht mit der liebenswürdigen Prahlerei des schlampigen, liberalen, neronischen Rom, sie zeigte es kalt und drohend. Rom, das war Ordnung und Macht, aber Ordnung nur um der Ordnung selber willen, Macht nur um der Macht selber willen, Macht ohne Geist, sinnlose Macht.
      Genau erinnerte sich Josef der Gedanken und Gefühle, mit denen er seinerzeit zum erstenmal diese Stadt Rom beschaut hatte. Erobern hatte er sie wollen, sie mit List besiegen. Und in einem gewissen Sinne war es ihm geglückt, freilich hatte sich dann herausgestellt, daß der Sieg von Anfang an eine verschleierte Niederlage war. Jetzt waren die Fronten klarer. Dieses domitianische Rom war härter, nackter als das Rom des Vespasian und des Titus, nichts war in ihm von dem jovialen Gewese jenes Roms, das der junge Josef erobert hatte. Es war härter zu erobern, wer es besiegen wollte, brauchte mehr Kraft; aber da es seine ganze Macht so unverhüllt zur Schau stellte, täuschte man sich auch weniger leicht über die Größe der Aufgabe.
      Auf einmal erkannte Josef, daß er plötzlich wie damals als junger Mensch erfüllt war von einem Ungeheuern Ehrgeiz, von einer brennenden Lust, diese Stadt zu besiegen. Vielleicht war es deshalb, daß er sich so heftig dagegen gesträubt hatte, Rom zu verlassen.

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