Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
Vielleicht, wahrscheinlich, war es die kitzelnde Lust auf diesen Kampf, die ihn hier in Rom hielt. Denn ausgetragen werden konnte dieser Kampf nur hier. Es war ein Kampf mit dem Herrn dieser Stadt Rom, mit Domitian.
Nein, ausgetragen war er noch lange nicht, dieser Streit. Wenn der Kaiser sich so lange still gehalten hatte, dann nicht etwa, weil er ihn vergessen, er hatte die große Auseinandersetzung nur aufgeschoben. Aber jetzt nahte sie heran, und wenn nicht der Kaiser, dann wird er, Josef, sie herbeiführen. Er spürte es, das war jetzt eine günstige Zeit für ihn. Er hat sein Werk vollendet, er hat die Universalgeschichte fertig, sie ist der Kieselstein, mit dem der kleine Josef den Ungeheuern Domitian fällen wird. Und er spürt in sich neue Kraft, sie fließt ihm zu aus seinem Sohn, er holt sich neue Jugend an der Jugend seines Matthias.
So eingesperrt in seine Gedanken ist er, daß er nichts mehr hört und sieht von dem um ihn. Da aber weckt ihn Lachen und fröhliches Geschwätz, das aus einem kleinen Marmorbau dringt, und sogleich ist er nicht mehr der erhitzte, ehrgeizige Kämpfer, sondern nur mehr der Mann, der, das Werk vieler Jahre vollendet, vergnügt und der Bürde ledig, durch die große Stadt schlendert, die er liebt und die trotz allem seine Heimat geworden ist. Lächelnd selber hört er auf das Lachen und auf das fröhliche Geschwätz aus dem kleinen Marmorbau. Vierhundert solcher öffentlichen Latrinen hatte Rom. Jeder Sitz hatte prunkvolle Lehnen aus Holz oder Marmor, und da saßen sie zusammen, die Römer, behaglich miteinander schwatzend während der Entleerung. Auf Komfort verstanden sie sich, das mußte man ihnen lassen. Bequem machten sie’s sich. Josefs amüsiertes und bitteres Lächeln vertiefte sich, wie er so das vergnügte Geschwätz der sich entleerenden Männer aus dem hübschen, weißen Bau herauskommen hörte. Komfort hatten sie, die Fülle hatten sie, Macht hatten sie. Alles Äußere hatten sie, alles das, worauf es nicht ankam.
Ja, Rom, das ist die Ordnung, die sinnlose Macht, Judäa, das ist Gott, das ist die Verwirklichung Gottes, das ist die Sinngebung der Macht. Eines kann ohne das andere nicht leben, eines ergänzt das andere. In ihm aber, in Josef, strömen sie ineinander, Rom und Judäa, Macht und Geist. Er ist dazu ausersehen, sie zu versöhnen.
Jetzt aber genug von diesen Gedanken. Vorläufig will er von alledem nichts wissen. Er hat lange, schwere Arbeit hinter sich, er will jetzt ausruhen.
Der Gang durch die Stadt hat ihn müde gemacht. Wie groß sie ist, die Stadt! Wenn er jetzt zu Fuß ginge, hätte er noch eine kleine Stunde nach Haus. Er nahm sich eine Sänfte. Ließ die Vorhänge hinunter, sperrte sich ab von der Buntheit der Straße, die so heftig auf ihn eingedrungen war. Rekelte sich im Dämmer der Sänfte, angenehm müde, nichts als ein müder, hungriger Mann, der ein großes und geglücktes Werk hinter sich hat und der jetzt vergnügt und mit ungeheuerm Appetit mit seinem lieben Sohne zu Abend essen wird.
»Ich gratuliere Ihnen, Doktor Josef«, sagte Claudius Regin und drückte ihm die Hand; es kam selten vor, daß er einem die Hand drückte, gewöhnlich begnügte er sich, mit seinen fetten Fingern lässig die Hand des andern zu berühren. »Das ist wirklich eine Universalgeschichte«, fuhr er fort. »Ich habe viel daraus gelernt, wiewohl mir doch eure Geschichte nicht ganz unbekannt war. Sie haben ein vortreffliches Buch geschrieben, und wir werden alles daransetzen, daß die Welt das erfährt.« Das war eine ungewöhnlich warme und entschiedene Rede für den sonst so zurückhaltenden, skeptischen Regin.
Lebhaft erörterte er, was man unternehmen könnte, um das Werk wirkungsvoll zu publizieren. Das Technische, Herstellung und Vertrieb, war lediglich eine Geldfrage, und Claudius Regin war kein Knauser. Aber wo das Technische aufhörte, begann alles sogleich problematisch zu werden. Wie zum Beispiel sollte das Porträt des Autors gehalten sein, das man dem Brauch zufolge dem Buch voranstellen wird? »Ich will Ihnen keine Komplimente machen, mein Josef«, meinte Claudius Regin, »aber zur Zeit schauen Sie genauso aus wie ich selber, nämlich wie ein alter Jud. Mir gefallen Sie ja, so wie Sie jetzt sind, aber das Publikum, fürchte ich, wird andrer Meinung sein. Wie wäre es, wenn wir das Porträt ein bißchen stilisierten? Wenn wir einfach den eleganten, bartlosen Josef von früher hinmalten, natürlich ein bißchen gealtert?
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