Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
im Sinne des angestrebten Zweckes. Sie aber tauschen willkürlich Maß und Gewicht. Sie legen moralische Maße an politische Vorgänge, wiewohl Sie ganz genau wissen, daß das nichts ist als faule, dumme, wohlfeile Konvention. Sie wissen ganz genau, daß der einzelne moralisch gewertet werden kann, niemals aber eine Gruppe, eine Masse, ein Volk. Ein Heer kann nicht tapfer sein, es besteht aus Tapferen und aus Feigen, Sie haben das erlebt, Sie wissen es, aber Sie wollen es nicht wahrhaben. Ein Volk kann nicht dumm sein oder fromm, es besteht aus Dummen und Gescheiten, aus Heiligen und Lumpen, Sie wissen es, Sie haben es erlebt, aber Sie wollen es nicht wahrhaben. Immer vertauschen Sie, um des Effektes willen, aus billiger Vorsicht die Gewichte. Sie haben kein historisches Buch geschrieben, sondern ein Erbauungsbuch für Dummköpfe. Nicht einmal das ist Ihnen geglückt; denn Sie haben für beide Teile schreiben wollen und deshalb nicht einmal den Mut zu jener Demagogie aufgebracht, in der Sie Meister sind.«
Josef hörte zu und verteidigte sich nicht mehr. So maßlos Justus, der Freundfeind, übertrieb, es war an seinen Einwänden etwas Richtiges. Dies jedenfalls stand fest: das Buch, an das er so viele Jahre, so viel Leben gesetzt hatte, war nicht geglückt. Er hat sich gezwungen, kalt zu bleiben vor der Geschichte seines Volkes und sie vernünftig zu betrachten. Damit hat er alles Leben aus diesen Begebenheiten ausgetrieben. Alles ist halbwahr und also ganz falsch. Wenn er jetzt sein Buch überliest, dann sieht er, daß alles schief gesehen ist. Die abgeschnürten Gefühle rächen sich, sie stehen doppelt lebendig wieder auf, der Leser Josef glaubt dem Schreiber Josef kein Wort. Er hat einen Grundfehler gemacht. Er hat geschrieben aus der puren Erkenntnis heraus und häufig gegen sein Gefühl, darum sind weite Teile seines Buches leblos, wertlos; denn lebendiges Wort entsteht nur, wo Gefühl und Erkenntnis sich decken.
Dies alles sah Josef grausam klar, dies alles sagte er sich hart und unverschönt. Dann aber tat er sein Buch »Universalgeschichte des jüdischen Volkes« ein für allemal von sich ab. Ob geglückt oder nicht, er hat gegeben, was er geben konnte, er hat seine Pflicht getan, hat gekämpft, gearbeitet, sich vieles versagt, jetzt hat er das Werk hingestellt und will, befreit davon, für sich selber weiterleben. Das Porträt, das Regin dem Buch vorangestellt hat, hat ihm gezeigt, wie alt er geworden ist. Er hat nicht mehr viel Zeit. Er will den Rest seiner Kraft nicht vergeuden in Grübeleien. Soll Justus philosophieren; er will jetzt leben.
Und es stiegen in ihm auf tausend Wünsche und Regungen, von denen er geglaubt hatte, sie seien längst tot. Er freute sich, daß sie nicht tot waren. Er freute sich, daß er noch Durst spürte, wieder Durst auf Taten, auf Frauen, auf Erfolg.
Er freute sich, daß er in Rom war und nicht in Judäa. Er ließ sich den Bart abnehmen und zeigte der Welt das nackte Gesicht des früheren Josef. Es war härter, schärfer, aber es war ein jüngeres Gesicht, als er es alle diese Jahre hindurch gehabt hatte.
Das verwinkelte Haus im Bezirk »Freibad« wurde ihm jetzt, obwohl Mara und die Kinder fort waren, auf einmal zu eng und zu dürftig. Er suchte Johann von Gischala auf und bat ihn, ihm ein elegantes, modernes Haus zu suchen, das er mieten könnte. Bei dieser Gelegenheit hatte er ein längeres Gespräch mit Johann. Der hatte die Universalgeschichte aufmerksam gelesen, er sprach angeregt darüber und mit Verständnis. Josef wußte natürlich, daß Johann kein objektiver Richter war. Der hatte ein bewegtes Leben hinter sich, ähnlich wie er selber, er war im Grunde gescheitert, er war also geneigt, die Geschichte des jüdischen Volkes ähnlich zu sehen wie er selber und aller Begeisterung zu mißtrauen. Gleichwohl freute ihn die Anerkennung des Johann und tröstete ihn ein wenig über die Ablehnung des Justus.
Er wurde gesprächig, er schloß sich jetzt, da er allein mit Matthias in Rom lebte, viel leichter auf als früher. Er erzählte dem Johann von dem, was er mit Matthias vorhatte. Johann war skeptisch. »Wohl sind die Zeiten noch so«, meinte er, »daß ein Jude seinen Ehrgeiz befriedigen kann. Sie haben sehr viel erreicht, mein Josef, gestehen Sie sich’s ruhig ein, Cajus Barzaarone hat viel erreicht, ich habe einiges erreicht. Aber ich halte es für klüger, wenn wir das Erreichte nicht zur Schau stellen, wenn wir den andern unser Geld,
Weitere Kostenlose Bücher